Meine Freundin Jennie
werden. Na, wie ist es, Peter? Bist du bereit, an Bord zu gehen? Dann tun wir’s besser gleich, solange sie alle noch so beschäftigt sind, und suchen uns ein Fleckchen, wo wir uns verstecken können, bis sie die Anker lichten.»
Peter war so aufgeregt, daß er Mühe hatte, nicht mit den Zähnen zu klappern. «Und was machen wir, wenn sie uns finden und vielleicht eine Wut auf uns kriegen und uns über Bord werfen wollen?» fragte er Jennie, denn er erinnerte sich, gelesen zu haben, daß man mit blinden Passagieren, die erst entdeckt wurden, wenn das Schiff bereits auf hoher See war, kurzen Prozeß machte.
«Was?» sagte Jennie richtig empört. «Matrosen? Uns über Bord werfen? Du vergißt ganz, daß die mächtig abergläubisch sind und meinen, wir Katzen brächten ihnen Glück. Also dann! Riskieren wir’s lieber nicht, gleich hier an Bord zu gehen, wo sie gerade laden. Da hinten bei den Offizierskajüten muß es noch eine dritte Gangway geben.» Der bloße Anblick des Dampfers bewirkte bereits, daß Jennie schon halb wie ein Seemann sprach. «Nach allem, was ich davon sehe, wie es hier an Bord zugeht, und nach dem Zustand zu schließen, in dem sich dieser alte Frachter befindet, wird dahinten keine Wache stehen. Die Crew ist wahrscheinlich zum größten Teil noch an Land, um zum letztenmal einen ordentlichen Zug zu machen. Komm, wir werden uns mal umschauen!»
Sie schlichen auf dem unbeleuchteten Teil des Kais zum Heck der Gräfin von Greenock hin, wo tatsächlich eine schmale Laufplanke vom Kai bis zu einer Kajütentreppe gelegt war, die unter Deck führte. Und wie Jennie vorausgesagt hatte, befand sich weder an dem einen noch an dem anderen Ende der Gangway eine Wache, und überhaupt war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.
«Der Augenblick ist günstig», frohlockte Jennie, nachdem sie die Lage gründlich gepeilt hatte. Schnuppernd sah sie sich nochmals vorsichtig um, und dann trabte sie ohne weitere Umschweife die Planke hinauf, und Peter folgte ihr.
Der Preis für zwei Passagen nach Glasgow
Daß Jennie schon zur See gefahren war und sich auf einem Schiff genau auskannte, kam ihr jetzt gut zustatten. Sie befolgte wieder ihren alten Grundsatz, nichts zu überstürzen, sondern streng methodisch, Punkt für Punkt vorzugehen. Vor allem war sie darauf bedacht, keinem menschlichen Wesen zu begegnen, bevor das Schiff abgelegt hatte, denn vermochte sie selbst sich auch in den Schatten der Ecken und Winkel oder hinter diesem oder jenem Gegenstand unsichtbar zu machen, befürchtete sie doch, Peters auffällig weißes Fell könne sie beide verraten. Sie verließ sich aber ebenso sehr auf ihre Nase und auf ihren Instinkt wie auf ihre Erinnerung an die anderen Dampfer, auf denen sie als Bordkatze Dienst getan hatte, und lief mit Peter alsbald die schmale Kajütentreppe hinunter, die zu einer kleinen Messe und zur Kombüse führte.
Die Teezeit war schon längst vorbei, die Mannschaften und Offiziere waren alle auf Deck mit dem Verstauen der Ladung oder sonstigen Vorbereitungen zum Auslaufen beschäftigt, und Jennie nahm daher an, daß sich in diesem Teil des Schiffes jetzt niemand aufhalten würde. Sie hatte sich nicht geirrt: das Feuer im Herd war ausgebrannt, und vom Koch und vom Aufwäscher war nirgends eine Spur zu erblicken. Auch standen sämtliche Türen offen, worin Jennie nur ein weiteres Merkmal dafür erblickte, wie schlecht es auf diesem Schiff mit der Disziplin bestellt war. So führte sie denn Peter unbehelligt von der Kombüse durch die Anrichte in die Vorratskammer, in der die für den Tagesbedarf bestimmten Lebensmittel aufgehoben wurden. An der Rückwand der Kammer befand sich ein Durchlaß zu einer steilen Eisentreppe, die auf einen Gang hinabführte, an dessen einer Seite der Kühlraum lag und diesem gegenüber ein großer Verschlag, der den gesamten Proviant enthielt — Säcke mit Mehl und Reis, weißen Bohnen und gelben Erbsen, Obst- und Gemüsekonserven, Fässer mit Heringen und Pökelfleisch, und Kisten mit Keks, Kaffee, Tee und Kakao.
Die Lattentür zu diesem Vorratsraum stand ebenfalls weit offen. Drinnen war es dunkel, aber ganz hinten im Gang brannte eine elektrische Birne, die immerhin soviel Licht verbreitete, daß Jennie und Peter mit ihren scharfen Augen sich bald zwischen den Säcken, Fässern und Kisten fast ebenso gut zurechtfanden, als sei es heller Tag.
Und dort in dem Vorratsraum sollte Peter, wohlverborgen hinter einer Kiste mit Tomatenkonserven, seine erste Maus
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