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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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hoben sich die vielen Masten und Schornsteine der Schiffe im Londoner Hafen deutlich ab, während in der Feme die dunklen Zinnen und Mauern des Towers auf ragten.
    Als die Sonne immer tiefer sank und sich anschickte, hinter den Kirchtürmen und Kaminen der Innenstadt völlig unterzutauchen, erhob sich über dem Fluß ein kalter Wind, der Peters Fell zerzauste und ihn daran erinnerte, daß sie für die Nacht noch keine Unterkunft hatten, wo sie es warm haben und geschützt sein würden.
    «Es wird bald dunkel sein», sagte er deshalb zu Jennie. «Wo werden wir nur diese Nacht schlafen?» Aber sie hörte gar nicht auf ihn, sondern starrte mit einem ganz verzückten Ausdruck im Gesicht geistesabwesend vor sich hin. Und dann sagte sie in einem höchst bedeutungsvollen Ton:
    «Peter, hättest du wohl Lust, eine kleine Reise mit mir zu machen?»
    Peter war sofort Feuer und Flamme, denn er liebte jede Veränderung, und er fand es herrlich, auf Reisen zu gehen.
    «Eine Reise? Oh, nur zu gern! Wohin denn und wann?»
    «Jetzt. Sofort. Ich meine, heute nacht, oder sobald ein Schiff ausfährt. Aber das können wir nachher noch feststellen. Nach Schottland. Ich möchte so schrecklich gern mal wieder nach Schottland. Ich möchte so schrecklich gern mal wieder nach Glasgow, wo ich auf die Welt gekommen bin, und auch alle meine Verwandten in Balloch und Gaerlochhead und Balmaha besuchen. Ach, Peter, wär das nicht ein großartiger Spaß?»
    Peter riß die Augen jetzt genau so weit auf wie Jennie, als er die Namen dieser Orte hörte, die so fremdartig und aufregend klangen, denn Nanny hatte ihm schon so viel von Glasgow und der Umgegend dort erzählt, und lebhaft rief er aus: «Aber Jennie, das können wir doch gar nicht, wir haben ja weder Geld noch Fahrkarten...»
    «Oh, das ist weiter kein Problem», erklärte Jennie. «Wir lassen uns einfach anheuern und verdienen uns die Passage nach Glasgow.»
    «Verdienen?» wiederholte Peter verblüfft. «Aber was können wir denn schon tun?»
    «Eine ganze Menge», antwortete Jennie. «Wir müssen nur ein Schiff ausfindig machen, das nach Glasgow fährt, und dann schmuggeln wir uns als blinde Passagiere an Bord, und sobald sie uns entdecken, lassen wir uns als Schiffskatzen anheuern. Das ist ganz einfach.»
    Jetzt war es an Peter, seine Gefährtin bewundernd anzustaunen. «Jenny», flüsterte er, «willst du damit sagen, daß du schon mal zur See gefahren bist?»
    «O ja, sogar schon öfter», erwiderte sie in diesem gleichmütigen Ton, in den sie unwillkürlich immer dann verfiel, wenn Peter sie bewunderte. «Das Dumme war bloß, daß ich nie wußte, wohin ich eigentlich fuhr. Ich wollte so gern einmal nach Ägypten, um die Gräber meiner Vorfahren aufzusuchen, und statt dessen landete ich oben in Oslo. Wie bald ich es satt hatte, immerfort getrockneten Fisch zu fressen! Und ein anderes Mal hab ich die ganze lange Fahrt nach New Orleans und zurück gemacht. Ich dachte schon, die Fahrt würde nie ein Ende nehmen. Achtundzwanzig Tage auf See! Das hängt einem bald zum Hals raus... Aber jetzt, wo ich weiß, daß du die Namen der Schiffe lesen kannst, und wo sie hinfahren...»
    Peter kamen plötzlich Bedenken. «Aber Jennie», sagte er, «auf einem Schiff bist du doch sozusagen auf die Menschen angewiesen, und du hast doch gesagt, du wolltest nichts mehr mit ihnen zu tun haben...»
    «Allerdings», entgegnete Jennie kühl, «aber an Bord ist das ganz etwas anderes. Da arbeitest du für deinen Lebensunterhalt, und, glaube mir, nicht zu knapp! Geschenkt wird dir nichts, so viel gibt es da zu tun: Mäuse und Ratten fangen, damit sie nicht überhandnehmen; das Wetter voraussagen; undichte Stellen ausfindig machen und solche, wo es schlecht riecht; Glück bringen und was sonst noch von dir verlangt wird, und das alles auf rein geschäftlicher Basis. Die Matrosen, die Maate und die Offiziere haben ihren festen Dienst, und der läßt ihnen viel zu wenig freie Zeit, als daß sie dir gegenüber sentimental werden könnten. Und du hast deine Arbeit, die dich weidlich beschäftigt, und damit hat sich’s. Die Verpflegung ist nicht schlecht und wird, was nicht unwichtig ist, regelmäßig ausgegeben — also die ist kein Problem, und reichlich ist sie auch. Nach ein paar Tagen bist du auch nicht mehr so wacklig auf den Beinen und kippst nicht mehr um, wenn’s mal heftiger schlingert, und abgesehen von einer gewissen Eintönigkeit, weil du ja oft tagelang kein Land zu sehen kriegst, ist das Leben an Bord

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