Meine Freundin Jennie
gesehen hatte, der so schön aussah.
, dachte er zuerst, und dann kam ihm ein noch viel kühnerer Gedanke: Denn das schneeweiße Haar umrahmte das Gesicht von Mr. Grims wie ein Heiligenschein, und es lag ein geradezu überirdischer Ausdruck von Sanftmut um seinen Mund und um die geschlossenen Augen, die, wie Peter sich noch genau entsann, stets so freundlich und milde dreinschauten. Der weiße Schnauzbart fiel ihm nun leicht gewellt über die Lippen herunter, auch trat die feine Wölbung der Nase jetzt schärfer hervor, und wie sein Kopf da zugleich so friedlich und majestätisch auf dem Kissen ruhte, gemahnte das Antlitz des Schlafenden an die gütig ernsten Züge eines Patriarchen, frei von jeglicher Bitterkeit und Empörung. Von der klaren Stirn bis zu den entspannt daliegenden Händen drückte alles an ihm Ergebenheit in sein Schicksal aus. Irgend etwas hatte Mr. Grims einen geheimen Adel verliehen...
Peter wußte nicht, wie lange er den alten Mann so anstarrte, denn ihm war, als könne er den Blick nicht von ihm abwenden. Dann hörte die Musik aus dem Radio, die immer weitergespielt hatte, für einen Augenblick auf, und das brachte Peter wieder zu sich. Er wandte sich zu Jennie um, die hinter ihm saß, und sagte mit gedämpfter Stimme, so, wie man in Gegenwart eines schlafenden Kindes spricht:
«Seht! Er schläft! Aber wir können ihn immer noch überraschen. Bleiben wir nur ruhig hier. Wenn er dann morgen früh aufwacht, wird er uns gleich sehen...»
Doch Peter irrte sich. Mr. Grims sollte nie wieder aufwachen.
Während der ganzen Nacht hockte Jennie unter dem grellen Lichtschein der elektrischen Birne trübselig in einer Ecke und weinte um den alten Mann, der ihr nur Gutes getan und wie ein echter Katzenfreund an ihr gehandelt hatte und nun nie mehr erfahren würde, daß sie zu ihm zurückgekehrt war. Peter saß bei ihr und versuchte, sie teils mit Worten, teils dadurch zu trösten, daß er ihr hin und wieder mit der Zunge über das Fell strich oder sich auch nur zärtlich an sie schmiegte. Er spürte, wie sie vor Kummer und Reue zitterte, und er bedauerte aufrichtig, daß er nicht mehr für sie tun konnte. Doch irgendwie kam es ihm seltsam vor, daß Mr. Grims dort mit einem so zufriedenen Lächeln auf seinem Bett lag, Jennie aber so jämmerlich vor sich hin schluchzte.
Die Musik im Radio spielte unentwegt weiter bis Mitternacht. Dann verstummte sie plötzlich, aber nur, um ganz früh am Morgen wieder einzusetzen und Peter aus dem Schlaf zu wecken, der ihn schließlich doch überwältigt hatte. Und kurz darauf waren draußen Stimmen und Schritte zu hören, und jemand rief:
«Hallo, Bill! Was ist denn mit dir los, daß du zu dieser Stunde noch Licht brennen und das Radio laufen hast? Wir kommen bloß wegen der Schlüssel...»
Es war einer der Vorarbeiter, der mit zwei Schauerleuten ankam und auf die offene Tür zuging, doch auf der Schwelle trat er wieder einen Schritt zurück und sagte: «Halt mal, Jungs! Das will mir hier gar nich gefallen, da stimmt doch was nich! He, Bill! Bill Grims! Was ist denn nur los mit dir? Bist du krank?»
Einer der beiden Schaüerleute sagte: «Wenn du mich fragst, sieht mir das ganz so aus, als ob der arme Kerl zum letztenmal krank gewesen ist.»
«Ja, Mensch, da hast du leider recht!»
Alle drei nahmen ihre Mützen ab und traten nur zögernd und verlegen ein, als fürchteten sie, Mr. Grims zu stören, obwohl ihn ja in diesem Augenblick gar nichts mehr stören konnte. Mit einem ernsten Ausdruck des Mitleids in seinem zerfurchten und von Wind und Wetter gegerbten Gesicht betrachtete der Vorarbeiter das seltsame Bild, das sich ihnen darbot: die regungslose Gestalt auf dem Bett, ringsum die vielen, so festlich anmutenden Geranien in den Blumentöpfen und in der Ecke die beiden Katzen — die eine mit schwarz-gelb gestreiftem Fell, mit kleinem Kopf, feucht schimmernden Augen und schneeweißem Hals und einem ebenso weißen Gesicht, das wie eine Maske wirkte, und neben ihr ein weißer Kater mit breitem Kopf und breiten Schultern, ohne einen einzigen Farbfleck auf seinem weißen Fell.
Dann drehte der Vorarbeiter das Radio ab und knipste auch das Licht aus, so daß der Raum nur noch durch den blassen Schein der Morgendämmerung erhellt wurde. «Tja», sagte er, «der alte Bill ist wirklich für immer eingeschlafen, und als der Tod ihn rief, war niemand bei ihm, um ihm die Einsamkeit der letzten Stunden
Weitere Kostenlose Bücher