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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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zu erleichtern, niemand als seine beiden treuen Lieblinge hier.»
    Peter krampfte sich bei diesen Worten das Herz zusammen. Es tröstete ihn nur etwas, daß Jennie nicht alles verstehen konnte, was der Mann da eben gesagt hatte, und daß der Vorarbeiter nicht wußte, daß Mr. Grims selbst dieser Trost versagt geblieben war und er, als der Ruf aus dem Jenseits ihn erreichte, sich nur auf sein Lager hatte schleppen können und es allein hatte ausfechten müssen.
    Der Vorarbeiter zog Mr. Grims behutsam die Decke über den Kopf und trat dann an den Schrank, um die Papiere des Toten herauszusuchen. Einer der beiden Schauerleute beugte sich inzwischen zu Peter nieder und strich ihm unbeholfen über die Ohren. «Ah ja, Pussies, ihr wißt es schon, nich wahr?» sagte er. «Ihr braucht jetzt ein neues Heim und jemand anderen, der sich um euch kümmert und euch was zu futtern gibt. Na, wir werden schon sehn. Erst müssen wir dafür sorgen, daß er hier anständig unter die Erde kommt, und dann werden wir uns überlegen, was sich für euch tun läßt. Der alte Bill hat gewiß damit gerechnet, daß wir uns seiner treuen Hausgenossen annehmen.»
    Daraufhin gingen die drei Männer leise hinaus, und Peter sah, daß sie die Tür nur anlehnten.
    «Der eine Schauermann hat eben gesagt, sie werden ihm ein schönes Begräbnis geben», berichtete er Jennie. «Du mußt dich nicht so grämen! Wir sind doch so schnell zurückgelaufen, wie wir nur konnten.»
    Aber Jennie wollte sich nicht trösten lassen. «Er hat uns die Hälfte von seinem Essen gegeben und teilte sein Brot mit uns», klagte sie. «So gut und freundlich hat er mit uns geredet und uns immer wieder gebeten, doch bei ihm zu bleiben! Und ich hab mich über ihn lustig gemacht und dich dazu verleitet, wegzurennen. Ach, Peter, Peter! Wie kann ich mir das je verzeihen? Begreifst du denn nicht? Wäre ich nicht so eigensinnig und schlecht gewesen, ich meine, wären wir bei ihm geblieben, dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Vielleicht hätte er sogar an uns wieder etwas gehabt, wofür es sich lohnte, noch ein bißchen weiterzuleben, statt krank zu werden und sich so einfach hinzulegen und zu sterben. Und selbst so wären wir doch wenigstens an seiner Seite gewesen oder hätten vielleicht Hilfe herbeiholen können. Oh, ich wünschte, ich wäre auch tot.»
    Sie schwieg wieder, und Peter, der sich neben ihr niederließ, überlegte sich angestrengt, wie er sie bloß wieder auf andere Gedanken bringen könne. Er befürchtete ernstlich, daß Jennie, wenn sie nicht durch irgend etwas abgelenkt wurde, nie wieder aufhörte, über etwas nachzugrübeln, was sich doch nicht mehr ändern ließ, und sich vielleicht so abhärmen würde, daß sie eines Tages womöglich vor lauter Kummer starb. £r wußte, weder sie noch er selber würden je vergessen, daß man gedankenlos eine Grausamkeit begehen und sie dann zu spät bereuen konnte; daß das Leben keine Notiz davon nahm, wie einem zumute war oder was man gern tun wollte, um vergangene Irrtümer wieder gutzumachen, sondern daß es unweigerlich fortschritt und die Reue sich viel öfter mit der niederdrückenden Erkenntnis einstellte, daß sie kam, als gerade noch ... Ja, eine gute Tat oder eine anständige Handlung verlangten danach, sofort ausgeführt zu werden. Aber Peter wußte auch, daß er Jennie sofort helfen mußte.
    Und so sagte er denn schließlich: «Jennie, hier können wir doch nichts weiter tun. Und ich habe einen Wunsch... Ich möchte so gern nach Hause...»
    «Nach Hause?» wiederholte sie in einem so sonderbaren Ton, als sei ihr das ein ganz fremdes oder ungewohntes Wort.
    «Ja, in die Cavendish-Gasse», sagte Peter und fügte rasch hinzu: «Nur zu einem kurzen Besuch... Vielleicht könnte ich Mutti und Vati und Nanny wenigstens für einen Augenblick von draußen sehen... Wir brauchten ja nur am Haus vorbeizulaufen und einen Blick hineinzuwerfen...»
    «Ja, geh du nur», sagte Jennie gekränkt, mit einer Stimme, die ganz unbeteiligt klang.
    «Aber ich kann nicht allein gehen, Jennie. Das würde ich nie wagen. Du mußt mit mir kommen. Ich brauche dich. Verstehst du, genau so notwendig, wie du mich in Glasgow gebraucht hast, brauche ich dich jetzt hier. Ich fühle mich als Kater noch nicht sicher genug, um allein in London herumzulaufen. Ich würde mich bestimmt verirren. Ich weiß nicht > einmal, in welcher Richtung ich gehen muß und wo ich unterwegs was zu essen finden und wo ich nachts schlafen

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