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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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schon, bevor Jennie, die ihre Bitte, dableiben zu dürfen, stets äußerst liebenswürdig vorbrachte, noch zu Ende gesprochen hatte. Es gab aber auch richtige Snobs, die nichts mit ihnen zu tun haben wollten, weil sie herumstreunende Straßenkatzen waren, während andere, die das entbehrungsreiche Leben einer herrenlosen Katze aus eigener Erfahrung kannten, sich besonders hilfsbereit zeigten. Darin gab es welche, die aus reiner Bosheit immer Streit suchten, und wieder andere, die nur deshalb Händel anfingen, weil es ihnen soviel Spaß machte, sich zu raufen, und sie gern ihre Überlegenheit beweisen wollten; aber die beiden Stromer trafen auch auf manche gutherzige Katze die einem Schlachter, einem Kneipenwirt, dem Inhaber einer Imbißstube oder einem Grünkramhändler gehörte und ihnen zu einer ausgiebigen Mahlzeit verhalf oder ihnen einen guten Tip gab, wo sie einen ordentlichen Happen erwischen konnten.
    Nicht nur durch Jennie, sondern auch sehr schmerzhaft am eigenen Leibe sollte Peter ebenfalls erfahren, daß man sich als Katze vor Kindern in acht nehmen muß, zumal vor jenen, die noch nicht alt genug sind, um das Wesen einer Katze zu begreifen, und sogar auch vor den älteren, wenn sie zu Grausamkeiten neigen. Und da man im voraus nicht wissen kann, ob sie einen nur streicheln oder aber einen Tort antun wollten, blieb einer in London herumvagabundierenden Katze gar keine andere Wahl, als im Interesse ihrer eigenen Sicherheit zu handeln.
    Peter sollte auf eine höchst betrübliche Weise hinter diese traurige Wahrheit kommen, als sie nun auf ihrem Weg durch Whitechapel die Petticoat Lane passierten, wo ein schmutziger kleiner Junge vor einer Fischküche im Rinnstein spielte. Er war ungefähr in Peters Alter oder jedenfalls so alt und auch so groß, wie Peter gewesen war, ehe er sich in einen Kater verwandelt hatte, und als Jennie und Peter an dem Jungen vorbeiliefen, rief dieser ihnen zu: «Heh, Pussie, komm doch mal her! Und du auch, Weißfell!»
    Bevor Jennie ihn noch warnen konnte, lief Peter schon unbekümmert auf den Straßenbengel zu, weil der Junge ihn irgendwie an sich selbst erinnerte und er sich noch genau entsann, wie sein Herz jeder Katze zugeflogen war, die er auf der Straße sah, und besonders denen, die dort obdachlos herumstromerten. Deshalb hob er nun zutraulich den Kopf, um sich streicheln zu lassen. Im nächsten Augenblick spürte er jedoch im ganzen Körper einen so heftigen Schmerz, daß er glaubte, vor Qual vergehen zu müssen, und er schrie laut auf, teils vor Schmerz, teils aber auch vor Angst, denn er wußte noch nicht, was da eigentlich mit ihm geschah.
    Dann merkte er erst, daß der Junge ihn ganz fest in den Schwanz kniff und — daran zog. Tatsächlich, dieser ekelhafte Bengel wagte es, ihn am Schwanz zu ziehen! Noch nie hatte Peter etwas so hundsgemein weh getan.
    «Na», sagte der Junge mit einem hämischen Grinsen, «nu versuch mal, wegzulaufen!»
    Mit einem wilden Geheul der Wut und Empörung grub Peter seine Krallen tief in die Ritzen des Straßenpflasters und brachte es schließlich mit äußerster Anstrengung fertig, sich loszureißen, doch hatte er dabei Jas Gefühl, als habe er seinen Schwanz in der Hand des Jungen zurückgelassen; und erst, als er schon einen halben Häuserblock weit gelaufen war, wurde er sich bewußt, daß sein Schwanz noch fest an ihm dran saß und waagerecht ausgestreckt hinter ihm her fegte.
    Und jetzt entdeckte er noch eine andere Eigenheit der Katzen, von der er sich nie etwas hatte träumen lassen. Was ihn da so peinigte, war nicht pur der Schmerz, am Schwanz gezogen worden zu sein, sondern auch ein Gefühl tiefster Erniedrigung. Noch nie hatte er sich so beschämt, so gedemütigt, so beleidigt und so entehrt gefühlt — und das alles vor Jennie! Ihm war, als könne er ihr nie wieder offen in die Augen sehen. Es war viel schlimmer, als damals, wie er noch ein Junge gewesen war, in der Ecke stehen zu müssen oder vor anderen Leuten barsch abgekanzelt, in die Ohren gezwickt und auf die Finger geschlagen zu werden.
    Er kam über diese Schande nur hinweg, weil Jennie sie ihm nachzufühlen schien und sich jedenfalls so verständig benahm. Sie sprach nicht etwa mitleidig zu ihm, was Peter jetzt einfach nicht ertragen hätte, und warf ihm nicht einmal einen verstohlenen Seitenblick zu, sondern trottete nur weiter neben ihm her und kümmerte sich überhaupt nicht um ihn, als wäre er gar nicht da. Das half ihm wirklich, und nach und nach begann der

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