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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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hatte eine ganze Prozession von Krankheiten. Die letzte davon war Scharlach, und er wurde stocktaub. Nach ein oder zwei Jahren verlor er natürlich auch die Sprache. Nun, einige Jahre später lernte er wieder sprechen, wenn auch mehr schlecht als recht – man konnte nicht immer verstehen, was er zu sagen versuchte. Er konnte seine Stimme natürlich nicht modulieren, da er sich selbst nicht reden hörte. Glaubte er, leise und vertraulich zu sprechen, konnte man ihn drüben in Illinois hören.
    Vor vier Jahren (1902) wurde ich von der University of Missouri eingeladen, um dort die Ehrendoktorwürde zu empfangen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, eine Woche in Hannibal zu verbringen – heute eine Stadt, zu meiner Zeit ein Dorf. Es war dreiundfünfzig Jahre her, dass Tom Nash undich das Abenteuer bestanden hatten. Als ich am Bahnhof angelangt war, bereit, abzureisen, hatte sich dort eine Gruppe Bürger versammelt. Durch eine Lücke in der Menschenmenge sah ich Tom Nash auf mich zukommen und ging ihm entgegen, denn ich erkannte ihn sofort. Er war alt und grauhaarig geworden, doch der fünfzehnjährige Junge war noch deutlich zu erkennen. Er trat an mich heran, formte seine Hände an meinem Ohr zu einer Trompete, nickte zu den Bürgern hinüber und sagte vertraulich – dumpf tutend wie ein Nebelhorn:
    »Dieselben verdammten Narren, Sam!«
     
    Aus Susys Biographie
     
    Papa war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er Lotse auf dem Mississippi wurde. Kurz bevor er seine Raise antrat, bat ihn Grandma Clemens, ihr hoch und heilig zu versprechen, keinen Alkohol anzurühren und nicht zu fluchen, und er sagte: »Ja, Mutter, ich verspreche es«, und hielt sein Versprechen sieben Jahre lang, bis ihn Grandma davon entbant.
     
    Unter dem inspirierenden Einfluss dieser Bemerkung, was für ein Garten vergessener Besserungsgelübde tut sich da vor meinen Augen auf!
    Dienstag, 13. Februar 1906
    Susys Biographie wird fortgesetzt – Kadetten der Enthaltsamkeit – Erste
Begegnung von Mr. Clemens und Miss Langdon – Miss Langdon als
Invalidin – Dr. Newton
    An mehrere dieser Gelübde kann ich mich mühelos erinnern. Als ich etwa fünfzehn war, gehörte ich in Hannibal kurze Zeit den Kadetten der Enthaltsamkeit an, einer Organisation, die wohl fast ein Jahr lang in den gesamten Vereinigten Staaten wirkte – vielleicht noch länger. Die Mitgliedschaft bestand in dem Gelübde, dem Tabakgenuss zu entsagen; ich meine, zu einem Teil bestand sie in diesem Gelübde und zum anderen in einer Schärpe ausroter Merinowolle, die Schärpe aus roter Merinowolle aber war die Hauptsache. Die Jungen traten ein, um sie tragen zu dürfen – das Gelübde selbst war ohne Bedeutung. Ihm kam solch geringe Bedeutung zu, dass es im Vergleich zur Schärpe im Grunde gar nicht existierte. Die Organisation war schwach und nicht von Dauer, da es nicht genügend Feiertage gab, um sie zu unterstützen. Antreten, marschieren und die roten Schärpen zeigen konnten wir am Maifeiertag zusammen mit den Sonntagsschulen und am Unabhängigkeitstag zusammen mit den Sonntagsschulen, der freiwilligen Feuerwehr und der Bürgerwehr. Doch kann man eine moralische Anstalt für Jugendliche nicht mit zwei Zurschaustellungen der Schärpe pro Jahr am Leben erhalten. Als Geselle hätte ich über eine Prozession hinaus nicht durchgehalten, ich aber war Erhabener Großwürdiger Sekretär und Fürstlicher Innenwächter und genoss das Vorrecht, mir Losungen auszudenken und eine Rosette auf meiner Schärpe zu tragen. Unter diesen Umständen gelang es mir, standhaft zu bleiben, bis ich den Ruhm zweier Zurschaustellungen eingeheimst hatte – Maifeiertag
und
Unabhängigkeitstag. Danach trat ich unverzüglich aus und verließ schnurstracks die Loge.
    Ich hatte volle drei Monate nicht geraucht, und keine Worte können auch nur annähernd den Appetit aufs Rauchen beschreiben, der mich verzehrte. Seit meinem neunten Lebensjahr war ich Raucher – ein heimlicher während der ersten beiden Jahre, aber danach – das heißt nach dem Tod meines Vaters –, ein öffentlicher. Noch bevor ich mich dreißig Schritte von der Loge entfernt hatte, rauchte ich und war restlos glücklich. Ich weiß nicht mehr, was für eine Zigarrensorte es war. Vermutlich keine erlesene, sonst hätte der vorherige Raucher sie nicht so bald weggeworfen. Jedenfalls fand ich, es war die beste Zigarre, die je gedreht wurde. Der vorherige Raucher hätte ebenso gedacht, wenn er drei Monate lange ohne Zigarren hätte auskommen müssen.

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