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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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sie fortgedauert hätten – wäre ich vermutlich bis zum heutigen Tage bewusstlos geblieben. Sie waren ganz entzückend, diese Handgriffe. So entzückend, so tröstlich, so bezaubernd, dass sie sogar das Feuer dieses teuflischen Nachfolgers von Perry Davis’ Schmerztöter milderten.
    Dann traf der alte Hausarzt ein und ging der Sache auf geschulte undpraktische Art nach – will sagen, er begann eine Suchexpedition nach Prellungen, Höckern und Beulen und verkündete schließlich, es gebe keine. Er sagte, dass ich, wenn ich zu Bett gehen und mein Abenteuer vergessen würde, am Morgen wiederhergestellt wäre – aber dem war nicht so. Am Morgen war ich
nicht
wiederhergestellt. Ich hatte gar nicht die Absicht, wiederhergestellt zu werden, und war alles andere als wiederhergestellt. Aber ich sagte, ich sei nur ruhebedürftig und benötige den Doktor nicht mehr.
    Meinem Abenteuer verdankte ich eine Verlängerung meines Aufenthalts um volle drei Tage, und es half mir sehr. Es brachte mein Anliegen mehrere Schritte nach vorn. Ein weiterer Besuch rundete die Sache ab, und wir verlobten uns – unter einem Vorbehalt, der da lautete, dass die Eltern ihre Zustimmung erteilten.
    In einem Gespräch unter vier Augen lenkte Mr. Langdon meine Aufmerksamkeit auf etwas, was mir bereits aufgefallen war – dass ich ein nahezu völlig unbekannter Mensch war; dass außer Charley mich niemand hier kannte und er zu jung war, um Menschen zuverlässig beurteilen zu können; dass ich von der anderen Seite des Kontinents stammte; und dass nur die Menschen dort in der Lage waren, mir einen guten Leumund zu bescheinigen, falls ich denn einen hatte – und so bat er mich um die Namen von Gewährsleuten. Ich nannte sie ihm, und er sagte, wir würden unsere Bemühungen jetzt beenden, ich könne abreisen und warten, bis er den Leuten geschrieben und Antwort bekommen habe.
    Zu gegebener Zeit trafen die Antworten ein. Man ließ mich kommen, und wir hatten eine weitere Unterredung unter vier Augen. Ich hatte ihn an sechs prominente Männer verwiesen, darunter zwei Geistliche (sie alle kamen aus San Francisco), und er selbst hatte an einen Bankkassierer geschrieben, der in früheren Jahren Hausmeister einer Sonntagsschule in Elmira gewesen und mit Mr. Langdon gut bekannt war. Die Ergebnisse waren wenig erfolgversprechend. Alle diese Männer waren übertrieben freimütig. Nicht nur bekundeten sie ihr Missfallen an meiner Person, vielmehr taten sie es mit unnötigem und übermäßigem Enthusiasmus. Ein Geistlicher (Stebbins) und jener Ex-Sonntagsschulhausmeister (ich wünschte, ich könnte mich anseinen Namen erinnern) fügten ihrem düsteren Zeugnis die Überzeugung hinzu, dass ich einmal das Grab eines Trunkenboldes ausfüllen würde. Es war nur eine dieser üblichen Zukunftsprophezeiungen. Da diese zeitlich nicht befristet sind, lässt sich auch nicht bestimmen, wie lange man auf ihre Erfüllung warten muss. Ich habe bis jetzt gewartet, und ihre Erfüllung scheint nach wie vor in weiter Ferne zu liegen.
    Als die Briefe durchgelesen waren, trat eine lange Pause ein, und die bestand größtenteils aus feierlicher Traurigkeit. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Mr. Langdon war anscheinend in derselben Verfassung. Schließlich hob er seinen schönen Kopf, heftete seinen klaren, offenen Blick auf mich und sagte: »Was für Leute sind das? Haben Sie denn nicht einen Freund auf der Welt?«
    Ich antwortete: »Offenbar nicht.«
    Daraufhin sagte er: »Dann werde ich selbst Ihr Freund sein. Nehmen Sie das Mädchen. Ich kenne Sie besser als die.«
    So dramatisch und glücklich wurde mein Schicksal entschieden. Hinterher, als er mich liebevoll, bewundernd und leidenschaftlich von Joe Goodman reden hörte, fragte er mich, wo Goodman wohne.
    Ich antwortete ihm, an der Pazifikküste.
    Er fragte: »Der scheint ja nun ein Freund von Ihnen zu sein. Ist er das?«
    Ich antwortete: »In der Tat, das ist er; der beste, den ich je hatte.«
    »Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«, fragte er. »Warum haben Sie mich dann nicht an ihn verwiesen?«
    Ich antwortete: »Weil er genauso unverfroren gelogen hätte, nur andersherum. Die anderen haben Ihnen alle meine Laster, Goodman hätte Ihnen alle meine Tugenden genannt. Sie wollten natürlich ein unvoreingenommenes Zeugnis. Ich wusste, dass Sie von Goodman keins bekommen würden. Ich glaubte, dass Sie es von den anderen bekommen würden, vielleicht haben Sie das ja auch. Allerdings war es gewiss weniger

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