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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Spur.
     
    Aus Susys Biographie
     
    Nach Großpapas Tod kehrten Mama und Papa nach Bufalo zurück; und drei Monate später kam der liebe kleine Langdon zur Welt. Mama nannte ihn Langdon nach Großpapa, er war ein wunderschöner kleiner Junge, aber sehr, sehr zart. Er hattewunderbare blaue Augen, aber von einem solchen Blau, dass Mama sie mir nie beschreiben konnte, damit ich sie deutlich vor meinem inneren Auge sehe. Seine schwache Gesundheit machte Mama ständig Sorge, und er war so brav und lieb, dass auch das sie beunruhigt haben muss, ich weiß, dass es so war.
     
    Er war eine Frühgeburt. Wir hatten Besuch, und als unsere Besucherin sich verabschiedete, wollte sie, dass Mrs. Clemens sie zum Bahnhof begleitete. Ich erhob Einwände. Doch die Wünsche dieses Gastes betrachtete Mrs. Clemens als Gesetz. Beim Abschied vertrödelte die Besucherin so viel kostbare Zeit, dass Patrick die Pferde zum Galopp antreiben musste, um rechtzeitig zum Bahnhof zu gelangen. Damals waren die Straßen von Buffalo noch nicht so vorbildlich wie später. Sie waren mit großen Kopfsteinen gepflastert und seit den Tagen des Kolumbus nicht mehr instand gesetzt worden. Aus diesem Grunde war die Fahrt zum Bahnhof wie eine Kanalüberquerung bei Sturm. Das Resultat für Mrs. Clemens war ein verfrühtes Wochenbett, gefolgt von einer gefährlichen Erkrankung. Meiner Ansicht nach konnte nur eine Ärztin sie retten. Das war die nahezu göttliche Mrs. Gleason aus Elmira, die vor zwei Jahren in hohem Alter starb, nachdem sie mehr als ein halbes Jahrhundert das Idol der Stadt gewesen war. Ich schickte nach ihr, und sie kam. Ihre liebevolle Fürsorge war erfolgreich, am Ende der Woche aber erklärte sie, wegen zwingender Verpflichtungen nach Elmira zurückkehren zu müssen. Ich war mir
sicher
, dass Livy außer Gefahr wäre, wenn Mrs. Gleason noch drei Tage blieb. Mrs. Gleasons Verpflichtungen waren jedoch von der Art, dass sie einem längeren Aufenthalt nicht zustimmen konnte. Deshalb postierte ich einen Privatpolizisten an der Haustür mit der Anweisung, ohne mein Wissen und meine Zustimmung niemanden hinauszulassen. Unter diesen Umständen hatte die arme Mrs. Gleason keine andere Wahl – also blieb sie. Sie war mir deshalb nicht böse, und das sagte sie mir auch auf sehr liebenswürdige Weise, als ich ihr seidiges weißes Haar und ihr gütiges schönes Gesicht vor drei Jahren zum letzten Mal sah.
    Noch bevor Mrs. Clemens ihre schwere Krankheit überwunden hatte, traf Miss Emma Nye, eine frühere Schulkameradin, aus South Carolina ein, um uns einen Besuch abzustatten, und erkrankte sogleich an Typhus. Wir ließenPflegerinnen kommen – professionelle Pflegerinnen, wie sie damals und für frühere Jahrhunderte typisch waren –, mussten indes ein Auge auf diese Pflegerinnen haben, während sie ein Auge auf die Patientin hatten, eine Aufgabe, die sie in der Regel schlafend verrichteten. Ich überwachte sie tagsüber, Mrs. Clemens nachts. Zwischen den Medikamenteneinnahmen schlief sie, doch zu den Einnahmezeiten stand sie immer auf, ging hinüber, weckte die diensthabende Pflegerin und sorgte dafür, dass die Medikamente verabreicht wurden. Diese ständige Unterbrechung ihres Schlafes zögerte Mrs. Clemens’ Genesung ernstlich hinaus. Miss Nyes Krankheit erwies sich als tödlich. In den letzten zwei, drei Tagen legte Mrs. Clemens nur selten ihre Kleider ab und hielt ununterbrochen Wache. Diese zwei, drei Tage zählen zu den düstersten, bedrückendsten, elendsten meines langen Lebens.
    Meine hieraus resultierenden periodischen plötzlichen Stimmungsschwankungen, von tiefer Schwermut bis zu halbverrückten Stürmen und Orkanen des Humors, gehören zu den Kuriositäten meines Lebens. Während eines dieser Anfälle humorvoller Besessenheit ließ ich mir aus meiner Zeitungsredaktion ein riesiges hölzernes
M
kommen, stellte es auf den Kopf, schnitzte einen groben und absurden Pariser Stadtplan hinein und veröffentlichte ihn zusammen mit einer hinreichend absurden Legende und vorsichtigen, aber erfundenen Komplimenten, die die Unterschriften General Grants und anderer Experten trugen. 15 Damals war der Deutsch-Französische Krieg in aller Munde, so dass der Stadtplan wertvoll gewesen wäre – wenn er wertvoll gewesen wäre. Er fand seinen Weg nach Berlin und bereitete den dortigen amerikanischen Studenten große Genugtuung. Sie nahmen ihn mit in die Bierhallen, setzten sich an einen Tisch und diskutierten ihn mit so ungestümer Begeisterung und

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