Meine geheime Autobiographie - Textedition
haben, der keine drei Viertel der Summe wert war, so vergnügt, dass er seine Freude nicht für sich behalten konnte, sondern sie ziemlich frei herumerzählte und sich selbst damit sehr glücklich machte. Ich hätte ihm erklären können, dass das, was er fälschlicherweise für seine Geschäftstüchtigkeit hielt, eine armselige und triviale Sache war. Wenn es einen Triumph, eine geistigeSelbstentblößung majestätischer Art gegeben hatte, dann nicht seine Geschäftstüchtigkeit, sondern meine Geschäftsuntüchtigkeit; die Ehre gebührte mir allein. Er war ein flotter, ehrgeiziger und selbstzufriedener junger Bursche, und er ging unverzüglich nach New York und an die Wall Street, den Kopf voll schäbiger und schillernder Träume – Träume der »Werde schnell reich«-Art; Träume, die sich kraft der Geschäftstüchtigkeit des Träumenden und der Geschäftsuntüchtigkeit seines Gegenübers verwirklichen lassen.
Damals hatte Jay Gould gerade die kommerzielle Moral der Vereinigten Staaten umgestülpt. Er hatte einen Pesthauch über sie gelegt, von dem sie sich nie erholt hat und von dem sie sich mindestens ein Jahrhundert lang nicht erholen wird. Jay Gould war die größte Katastrophe, die je über dieses Land hereingebrochen ist. Schon vor seiner Zeit hatte das Volk Geld
begehrt
,
er
aber lehrte es, davor niederzuknien und es anzubeten. Das Volk hatte schon vor Jay Gould Menschen mit Vermögen respektiert, mit diesem Respekt ging jedoch jener Respekt einher, der dem Charakter und dem Fleiß gebührt, die das Vermögen angehäuft haben. Nun lehrte Jay Gould die gesamte Nation, Geld und Menschen zu Götzen zu machen, wie auch immer das Geld erworben worden sein mochte. In meiner Jugend gab es in unserer Gegend nichts, was dieser Anbetung des Geldes oder seines Besitzers geglichen hätte. Und in unserer Gegend war kein wohlhabender Mann jemals auch nur verdächtigt worden, sein Geld mit anrüchigen Methoden erworben zu haben.
In unseren Tagen leistet das Evangelium, das Jay Gould hinterlassen hat, gewaltige Arbeit. Seine Botschaft lautet: »Beschaff dir Geld. Beschaff ’s dir schnell. Beschaff ’s dir im Überfluss. Beschaff ’s dir in riesigem Überfluss. Beschaff ’s dir auf unehrliche Weise, wenn du kannst; auf ehrliche, wenn du musst.«
Dieses Evangelium hat, wie es scheint, nahezu universelle Gültigkeit. Seine großen Apostel heute sind die McCurdys, McCalls, Hydes, Alexanders und der Rest der Räuberbande, die kürzlich von ihren längst beschädigten Vertrauensposten in den kolossalen Versicherungsgesellschaften New Yorks verjagt worden sind. Vorgestern wurde berichtet, Präsident McCall liege imSterben. In den vergangenen zwei, drei Monaten war mehrere Male berichtet worden, die anderen seien im Sterben begriffen. Man hat sich eingebildet, die Ursache dieser Schlaganfälle seien Reue und Scham wegen der an zwei oder drei Millionen Versicherungsnehmern und ihren Familien, an Witwen und Waisen begangenen Räubereien – aber hin und wieder staunt man doch, wenn sich herausstellt, dass nicht etwa das empörte Gewissen dieser Männer am Werk ist; sie sind lediglich deshalb krank und wund, weil sie entlarvt worden sind.
Gestern – wie ich dem Morgenblatt entnehme – blies John A. McCall seine Trauerfeier ab, setzte sich auf, warf sich in Pose und propagierte seine Moral zum Nutzen der Nation. Er wusste sehr wohl, dass alles, was ein schwerreicher Mann – ob bei Gesundheit oder todgeweiht – sagt, durch die Zeitungen von einem Ende des Kontinents zum anderen verbreitet und von jeder Kreatur, die lesen kann, begierig aufgenommen wird. McCall setzt sich auf und predigt seinem Sohn – vorgeblich seinem Sohn –, in Wahrheit aber der Nation. Der Mann scheint aufrichtig zu sein, und ich glaube, er
ist
aufrichtig. Ich glaube, dass sein moralisches Bewusstsein im Schwinden begriffen ist. Ich glaube, er hält sich wirklich für einen hohen und heiligen Mann. Und ich glaube, er bildet sich ein, vom Volk der Vereinigten Staaten für einen solchen gehalten zu werden. Seit zwanzig Jahren wird er angebetet, wegen seines Reichtums und besonders wegen der anrüchigen Methoden, mit denen er ihn erworben hat. Und ich glaube, er hat sich an diese Vergötterung so gewöhnt und sich von ihr so täuschen und betören lassen, dass er sich tatsächlich für ein schönes, bedeutsames und edles Wesen hält und für ein geeignetes Modell, dem die aufstrebende Generation junger Männer nacheifern soll.
John D. Rockefeller ist
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