Meine geheime Autobiographie - Textedition
dem Volk: Siehe,
ich habe heute
gekauft euch
und
euer
Feld
dem Pharao; siehe, da habt ihr Samen und besäet das Feld.
Und von dem Getreide sollt ihr den
Fünften geben; vier Teile sollen euer sein, zu besäen das Feld und zu eurer Speise und für euer Haus
und eure Kinder.
Sie sprachen: Du hast uns am Leben
erhalten; lass uns nur Gnade finden vor dir, unserm Herrn, so wollen wir gerne Pharao leibeigen
sein.
Also machte Joseph ihnen ein Gesetz
bis auf diesen Tag über der Ägypter Feld, den Fünften Pharao zu geben; ausgenommen der Priester
Feld, das ward dem Pharao nicht eigen.
Von einem »Pfand« ist hier, soweit ich sehe,
nicht die Rede. Für mich sieht das Ganze nach einem brandneuen Vermögenswert aus – für Joseph. Und
einem stattlichen und anwachsenden noch dazu – falls jemand eine Quelle dafür finden kann. Aber ich
kann keine finden; ich finde nicht, dass Joseph verzweifelten Bauern Darlehen gewährte und diese
Darlehen durch Hypotheken auf ihre Ländereien und Tiere sicherte, ich meine zu finden, dass er sich
das Land selbst aneignete – bis hin zum letzten Acker und die Tiere bis hin zum letzten Huf. Und ich
habe nicht den Eindruck, dass Joseph den hungernden Unglücklichen »für die Lebensmittel, die er
unter ihnen verteilte, nur den gerechten Marktpreis« berechnete. Nein, ich habe den Eindruck, dass
er ihnen den letzten Penny nahm, den sie besaßen; den letzten Acker, den sie besaßen; das letzte
Tier, das sie besaßen; dann kaufte er die
Leiber
und die
Freiheiten
der gesamten
Nation nach »gerechter Marktbewertung« gegen Brot und die Ketten der Sklaverei. Ist es vorstellbar,
dass es einen »gerechten Marktpreis« oder irgendeinen Preis – zu beziffern in Gold, Diamanten,
Banknoten oder Regierungsanleihen – für das höchste Gut des Menschen geben kann – das eine Gut, ohne
das sein Leben vollkommen wertlos ist – seine Freiheit?
Joseph handelte im Sinne der Geistlichkeit; das ist das Einzige, was ich zu
seiner Verteidigung anführen kann. Und klug. Das hat man bis heute nicht vergessen.
Nein, ich danke Ihnen herzlich und in aller
Aufrichtigkeit, aber ich habe Angst zu kommen, ich wage es nicht zu kommen, denn ich bin
empfindlich, ich bin menschlich,ich bin verletzlich, und ich könnte es nicht
ertragen, wenn der junge Mr. Rockefeller, von dem ich sehr viel halte, aufstünde und Joseph aufs
Neue übertünchte. Aber ich sende Ihnen meine besten Wünsche.
Mark Twain
Ehrenmitglied
der Bibelklasse
Ich schickte diesen
Brief an den jungen John persönlich und bat ihn, ganz nach Belieben damit zu verfahren, und sollte
ihm eine Verlesung in der Kirche unpassend erscheinen, ihn zu unterschlagen. Er unterschlug ihn –
was beweist, dass er trotz seiner Theologie einen nüchternen Standard-Oil-Kopf hat. Dann bat er
mich, doch zu dem Treffen der Ehrenmitglieder zu kommen und eine Rede zu halten, mein Thema könne
ich frei wählen, und ich könne offen sprechen. Er schlug eins vor, mit dem er sich vor ein paar
Monaten im Bibelunterricht selbst auseinandergesetzt habe – das Lügen. Das Thema behagte mir sehr.
Ich hatte die Zeitungsberichte über seinen Vortrag gelesen und festgestellt, dass dieser allen
anderen Kanzelreden glich. Er wusste nichts Bemerkenswertes über das Lügen zu sagen; wie alle
anderen Kanzelredner glaubt er, dass es auf diesem Planeten irgendwann einmal jemanden gegeben hat,
der kein Lügner war; wie alle anderen Kanzelredner glaubt er, dass – aber diesen Gegenstand habe ich
bereits in einem meiner Bücher abgehandelt, und es ist nicht nötig, ihn an dieser Stelle erneut
abzuhandeln.
Wir einigten uns,
dass der junge John mich übermorgen Abend abholen und zu seiner Kirche fahren wird, wobei es mir
freisteht, ganz nach Belieben über das Lügen oder stattdessen über jedes andere Thema von aktuellem
Interesse zu reden, falls es jemanden gibt, der sich in der Lage sieht, in einer solchen Atmosphäre
ein frisches Thema anzuschneiden.
Aber nun kann ich doch nicht hingehen. Ich habe mit meiner alljährlichen Bronchitis zu kämpfen, und
der Arzt hat es mir verboten. Das ist schade, denn ich bin überzeugt, dass ich über das Lügen mehr
weiß als jeder, der vor mir auf diesem Planeten gelebt hat. Ich glaube, dass ich der einzige lebende
Mensch bin, der vernünftig über dieses Thema reden kann. Seit siebzig Jahren bin ich damit vertraut.
Die erste Äußerung, die ich je von mirgegeben habe, war eine Lüge, denn ich
tat so, als ob mich eine Nadel gestochen hätte, was
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