Meine geheime Autobiographie - Textedition
gar nicht stimmte. Seither interessiere ich mich
für diese große Kunst. Seither übe ich mich in ihr, manchmal zum Vergnügen, meistens um einen Gewinn
herauszuschlagen. Und bis zum heutigen Tag bin ich mir nicht immer sicher, wann ich mir selbst
Glauben schenken darf und wann die Angelegenheit überprüft werden sollte.
Wenn mich die Bronchitis erwischt, wäre
ich untröstlich, denn das würde sechs Wochen Bettruhe bedeuten – mein alljährlicher Tribut, den ich
ihr seit sechzehn Jahren zolle. Ich wäre untröstlich, weil ich in der richtigen Verfassung sein
möchte, um am Abend des 10. April in der Carnegie Hall aufzutreten und mich ein für alle Mal vom
Podium zu verabschieden. Ich habe nicht vor, jemals wieder Vorträge gegen Honorar zu halten, und ich
glaube, ich werde auch keine mehr halten, für die das Publikum Eintrittsgeld entrichten muss. Ich
werde weiter Reden halten, aber nur zum Spaß, nicht für Geld. Von denen kann ich jede Menge
halten.
Mein erster Auftritt vor
Publikum fand vor vierzig Jahren in San Francisco statt. Falls ich den Abschied in der Carnegie Hall
am 10. April noch erlebe, werde ich sehen, und zwar ununterbrochen sehen, was kein anderer im Saal
sehen kann. Ich werde zwei riesige Zuhörerschaften vor mir sehen – die Zuhörer aus San Francisco vor
vierzig Jahren und die, die diesmal vor mir sitzen. Jenes frühere Publikum werde ich gestochen
scharf und bis ins kleinste Detail vor mir sehen, so wie ich es in diesem Moment vor mir sehe, und
ich werde es sehen, während ich in das Publikum der Carnegie Hall blicke. Ich verspreche mir von
diesem Abend in der Carnegie Hall ein großes erfüllendes Vergnügen, und ich hoffe, die Bronchitis
verschont mich, damit ich ihn genießen kann.
Vor einer Woche grübelte ich ein wenig darüber nach, was ich zum
Abschied Verrücktes tun könnte, als mir General Fred Grant einen Gentleman vorbeischickte, um mir
tausend Dollar für eine Rede zugunsten der Robert Fulton Memorial Association anzubieten, dessen
Präsident er ist und dessen Vizepräsident ich bin. Das war genau das Richtige, und ich sagte
augenblicklich zu und versprach, unverzüglich einige Telegramme und Briefe von Fred Grant an mich
selbst zu schreiben und mit seinem Namen zu unterzeichnenund diese Telegramme
und Briefe zu beantworten und mit meinem Namen zu unterzeichnen, denn auf diese Weise würden wir
gute Werbung machen, und ich könnte der Öffentlichkeit bekanntgeben, dass ich meine endgültig letzte
Rede gegen Honorar hielt. Ich schrieb die Korrespondenz sofort nieder. General Grant hieß sie gut,
und ich füge sie hier ein.
PRIVAT UND VERTRAULICH
[Korrespondenz]
Telegramm
Hauptquartier, Department Ost
Governors Island, New York
Mark Twain, New York
Würden Sie den Vorschlag
erwägen, zugunsten der Robert Fulton Memorial Association, deren Vizepräsident Sie sind, für ein
Honorar von tausend Dollar eine Rede in der Carnegie Hall zu halten?
F. D. Grant
Präsident
Fulton Memorial Association
Telegraphische Antwort
Generalmajor F. D. Grant
Hauptquartier, Department Ost
Governors Island, New
York
Ich nehme Ihr Angebot mit Freuden an, allerdings muss ich zur
Auflage machen, dass Sie die tausend Dollar als Spende für den Memorial Fund behalten.
Clemens
Briefe
Sehr geehrter Mr. Clemens,
die Association ist Ihnen zu Dank verpflichtet und wird sich ganz nach Ihren
Wünschen richten. Aber warum gleich alles spenden? Warum nicht wenigstens einen Teil behalten –
warum sollte Ihre Arbeit ganz ohne Vergütung bleiben?
Hochachtungsvoll
Fred D.
Grant
Generalmajor Grant
Hauptquartier, Department Ost
Verehrter General,
weil
ich seit vielen Jahren keine Reden mehr gegen Bezahlung halte und diese Gewohnheit nur mit größtem
persönlichem Unbehagen wiederaufnehmen könnte. Ich höre mich gerne reden, weil ich so viel Belehrung
und moralische Erbauung daraus ziehe, aber wenn ich Geld dafür verlange, geht mir ein Großteil
dieser Freude verloren. Also belassen wir es dabei.
General, mit Ihrem Einverständnis möchte ich diese gute Gelegenheit dazu
nutzen, mich ein für alle Mal vom Podium zurückzuziehen.
Hochachtungsvoll
S. L.
Clemens
Sehr geehrter Mr. Clemens,
selbstverständlich. Aber erlauben Sie mir als altem
Freund einen Einwand: Tun Sie das nicht! Weshalb sollten Sie? Sie sind doch noch gar nicht so
alt.
Hochachtungsvoll
Fred D. Grant
Verehrter General,
ich
meine das
bezahlte
Podium; vom
unbezahlten
Podium werde ich mich erst
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