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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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verwendet. Er verwendet denselben alten Pinsel und dieselbe alte Tünche, die Joseph
seit Jahrhunderten grotesk entstellen.
    Ich kenne und schätze den jungen John seit vielen Jahren und habe
schon lange das Gefühl, dass die Kanzel der richtige Platz für ihn ist. Ich bin sicher, dort würde
das leuchtende Holz seiner Gedanken so richtig glühen – vermutlich wird er sich jedoch dem Schicksal
beugen müssen und seinen Vater als Kopf der riesigen Standard Oil Corporation ablösen. Eine seiner
vergnüglichsten theologischen Anleitungen war vor drei Jahren die Enthüllung der Bedeutung – der
wahren Bedeutung, der tieferen Bedeutung – von Christi Mahnung an den Jüngling, der, von Reichtum
erdrückt, gleichwohl das ewige Leben wollte, falls sich ein günstiger Weg finden ließe: »Verkaufe
alles, was du hast, und gib’s den Armen.« Der junge John erklärte die Sache wie folgt:
    »Was immer zwischen dir und der Erlösung
steht, räume dieses Hindernis um jeden Preis aus dem Weg. Ist es Geld, so gib es den Armen; ist es
Grundbesitz, so verkaufe alles und gib den Erlös den Armen; ist es soldatischer Ehrgeiz, so scheide
aus dem Militärdienst; ist es eine verzehrende Schwärmerei für eine Person, Sache oder
Beschäftigung, so wirf die Fesseln ab und widme dich zielstrebig deiner Erlösung.«
    Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand.
Die Millionen des jungen John und die seines Vaters waren ein bloßer Zufall in ihrem Leben und für
ihr Streben nach Erlösung keineswegs ein Hindernis. Darum betraf Christi Mahnung nicht sie. Eine der
Zeitungen schickte Reporter zu sechs oder sieben New Yorker Geistlichen, um sie nach ihrer Meinung
in der Angelegenheit zu befragen. Das Ergebnis? Alle bis auf einen pflichteten dem jungen
Rockefeller bei. Ich weiß nicht, was wir ohne die Kanzel anfangen würden. Auf die Sonne könnten wir
leichter verzichten – zumindest auf den Mond.
    Vor drei Jahren ging ich mit dem jungen John zu seiner Bibelklasse
und hielt dort eine Rede – keine theologische, das wäre geschmacklos gewesen, und guter Geschmack
ist mir wichtiger als Rechtschaffenheit. Ein Außenstehender, der in diese Bibelklasse kommt, um eine
Rede zu halten, hatAnspruch auf die Ehrenmitgliedschaft. Also bin ich
Ehrenmitglied. Vor einigen Tagen benachrichtigte mich ein Vorsitzender der Bibelklasse, am
übernächsten Abend werde in seiner Kirche eins der alle fünf Jahre stattfindenden Treffen der
Ehrenmitglieder abgehalten und man sähe es gern, wenn ich kommen und eine Rede beitragen wollte. Und
falls ich verhindert sei, ob ich einen Brief schicken würde, der vor den Leuten verlesen werden
könne?
    Da ich bereits von Terminen
erdrückt wurde, schickte ich die folgende Absage:
     
    14. März 1906
    Mr. Edward M.
Foote, Vorsitzender
    Lieber Freund und Kollege,
    gern würde ich an dem Treffen der Ehrenmitglieder
von Mr. Rockefellers Bibelklasse teilnehmen (denen ich dank geleisteter Dienste angehöre), muss aber
besonnen sein und darf nicht in ein Wespennest stechen. Dabei geht es um Joseph. Er könnte zur
Sprache kommen, und schon wäre ich womöglich in Schwierigkeiten, da ich, was Joseph betrifft, mit
Mr. Rockefeller uneins bin. Vor acht Jahren habe ich in einem Artikel in der
North American
Review
, der inzwischen in Band XXII meiner
Gesammelten Werke
aufgenommen wurde,
Joseph im Lichte von Kapitel 47 des 1. Buch Mose gewissenhaft und erschöpfend erläutert; danach habe
ich meine Aufmerksamkeit anderen Themen gewidmet in der Annahme, Joseph ein für alle Mal abgehandelt
zu haben, so dass zu diesem Thema niemand mehr etwas zu sagen brauchte. Stellen Sie sich also meine
Überraschung und Trauer vor, als ich kürzlich in der Zeitung las, Mr. Rockefeller habe sich Joseph
gegriffen – offenkundig in völliger Unkenntnis der Tatsache, dass ich ihn bereits abgehandelt hatte
– und versucht, ihn abermals abzuhandeln.
    Jeder Satz, den Mr. Rockefeller von sich gab, bewies, dass er nicht mit Joseph vertraut ist.
Insofern war mir klar, dass er meinen Artikel nie gelesen hat. Er hat ihn ganz sicher nicht gelesen,
denn die von ihm veröffentlichte Einschätzung Josephs unterscheidet sich von meiner. Hätte er meinen
Artikel gelesen, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Er hält Joseph für Marias Lämmchen; das ist
ein Fehler. Er war – er – aber sehen Sie sich meinen Artikel an, dann werden Sie verstehen, was er
war.
    Joseph ist seit Jahrhunderten ein äußerst
heikles, schwieriges Problem. Dasheißt, für jeden außer mir. Das

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