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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Anweisung in die Tat um. Auf seinem Weg zwischen Büro und Wohnung oder wenn er Botengänge erledigte, hielt er die Augen offen, und immer wenn er etwas sah, was sich als Lokalnachricht verwenden ließ, notierte er es, ging es anschließend noch einmal durch und strich etliche Adjektive heraus, ging es erneut durch und tilgte alles Beiwerk, und wenn er es auf die schlichten Fakten heruntergekocht und von sämtlichen Rüschen und Stickereien befreit hatte, legte er es dem Lokalredakteur auf den Schreibtisch. Mehrmals hatte er Erfolg, und seine Sachen wurden ungekürzt in die Zeitung übernommen. Schon bald schickte ihn der Lokalredakteur, wenn ihm die Arbeitskräfte ausgingen, mit Aufträgen los. Er erfüllte sie gewissenhaft und mit gutem Erfolg. Dies geschah immer häufiger. Er kam mit den Reportern der anderen Zeitungen in Kontakt. Er freundete sich mit ihnen an, und nach kurzer Zeit berichtete ihm einer von einer freien Stelle, die er haben könne, Gehalt inklusive. Er sagte, vorher müsse er mit seinem Arbeitgeber sprechen. In exakter Übereinstimmung mit meinen Anweisungen trug er die Sache seinem Arbeitgeber vor, und es geschah wie erwartet. Man sagte ihm, dieses Gehalt könne man ihm so gut wie jede andere Zeitung zahlen – er solle bleiben, wo er sei.
    Der junge Mann schrieb mir zwei-, dreimal im Jahr und hatte jedes Mal etwas Neues und Ermutigendes über meine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu berichten. Hin und wieder bot eine andere Zeitung ihm ein höheres Gehalt. Dann trug er die Neuigkeit seiner eigenen Zeitung vor; diese zog jedes Mal nach, und er blieb. Schließlich bekam er ein Angebot, dem sein Arbeitgeber nicht mehr entsprechen konnte, und sie trennten sich. Es ging um ein Jahresgehalt von dreitausend, und zwar als Redaktionsleiter einer namhaften Tageszeitung in einer Stadt in den Südstaaten, eine zu jener Zeit und in jener Region ordentliche Summe. Er hatte den Posten drei Jahre lang inne. Danach habe ich nie wieder von ihm gehört.
    Um 1886 verlor mein Neffe Samuel E. Moffett, ein junger Mann in den Zwanzigern, seinen ererbten Besitz und musste nach einer Möglichkeit suchen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er war in mehrerlei Hinsichtein außergewöhnlicher junger Bursche. Eine Nervenkrankheit hatte ihn schon früh am regelmäßigen Schulbesuch gehindert, und so war er ohne Schulbildung aufgewachsen – was ihm nicht zum Nachteil gereichte, denn er verfügte über ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis und einen ungeheuren Wissensdurst. Mit zwölf Jahren hatte er sich durch Lesen und Zuhören einen großen und weitgefächerten Wissensschatz angeeignet, und ich erinnere mich an eine Zurschaustellung desselben, die für mich höchst beschämend ausfiel. Er war bei uns zu Besuch gewesen, und ich hatte versucht, mir ein Spiel auszudenken, das mit historischen Fakten aller Zeitalter zu tun hatte. Ich hatte viel Arbeit in dieses Spiel investiert, harte Arbeit, denn ich hatte die Fakten nicht im Kopf, sondern musste sie mir mühsam aus Büchern zusammenklauben. Der Junge sah sich meine Arbeit an, stellte fest, dass die Fakten unzutreffend waren und das Spiel, so wie es war, unbrauchbar. Dann setzte er sich hin und rekonstruierte das gesamte Spiel aus dem Gedächtnis. In meinen Augen war es eine wunderbare Leistung, und ich war zutiefst gekränkt.
    Wie bereits gesagt, als er Anfang zwanzig war, schrieb er mir aus San Francisco und sagte, er wolle Journalist werden, und fragte, ob ich ihm ein paar Empfehlungsschreiben für die Herausgeber der dortigen Zeitungen schicken könnte. Ich schrieb zurück und erlegte ihm dieselben alten Anweisungen auf. Ein Empfehlungsschreiben schickte ich ihm nicht, und ich verbot ihm auch, von anderer Seite ausgestellte zu verwenden. Er hielt sich streng an diese Anweisungen. Er begann beim
Examiner
,der William R. Hearst gehörte. Er reinigte die Redaktionsräume und erledigte die üblichen Schindereien, die meine Maßnahme vorsah. Nach kurzer Zeit war er Mitarbeiter der Redaktion mit einem anständigen Gehalt. Nach zwei, drei Jahren wurde sein Gehalt beträchtlich erhöht. Nach weiteren ein, zwei Jahren reichte er seine Kündigung ein – denn unterdessen hatte er geheiratet und lebte in Oakland oder einem anderen Vorort, und es behagte ihm nicht, spätabends und frühmorgens zwischen der Zeitung und seinem Wohnhaus hin- und herzupendeln. Man erlaubte ihm, in Oakland zu bleiben, dort seine Leitartikel abzufassen und herüberzuschicken, bei Weiterzahlung seines

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