Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
die Autorschaft eines Buches anmaßt, das er nicht selbst verfasst hat, und der auch Ihnen Schaden zufügt, da Sie das Buch veröffentlichen und als meine Arbeit anzeigen.
    Hochachtungsvoll
    U. S. GRANT
     
    N. Y. World
    [Rev. Dr. Newman]
    1885
    Auszug aus meinem Notizbuch:
     
    4. April 1885. Heute Morgen lebt General Grant noch. Gestern Nacht lag manch einer zwischen den beiden Ozeanen stundenlang wach und horchte auf das Dröhnen der Feuerglocken, die einstimmig zur Nation sprechen sollen, um sie über ihr Unglück zu unterrichten. Die Glockenschläge werden im Abstand von dreißig Sekunden ertönen, und es werden dreiundsechzig an der Zahl sein – das Alter des Generals. Sie werden in jeder Stadt der Vereinigten Staaten zugleich ertönen – das erste Mal in der Weltgeschichte, dass die Glocken einer Nation im Gleichklang läuten, indem sie im selben Moment beginnen und im selben Moment enden.
     
    Zwei Wochen lang hat die Nation mit angehaltenem Atem die Nachricht von General Grants Tod erwartet.
    In ihrem Kummer suchte die Familie geistlichen Beistand und ließ einen gewissen Rev. Dr. Newman kommen. Newman war vor kurzem nach Kalifornien gegangen, wo er den mit $ 10   000 dotierten Auftrag bekommen hatte, die Leichenpredigt für den Sohn von Ex-Gouverneur Stanford, dem Millionär, zu halten, eine höchst bemerkenswerte Predigt – und ihr Geld wert. Wenn Newman nicht irrt, so wurde weder er noch sonst jemand – jedenfalls kein normaler Sterblicher – für würdig befunden, die Leichenpredigt für den jungen Mann zu halten, und es war offensichtlich, dass zu diesem Anlass einer der Jünger Jesu nach Kalifornien hätte gebracht werden müssen. Newman kehrte auf der Stelle aus Kalifornien zurück und waltete am Bett des Generals seines geistlichen Amtes; und wenn man seinen täglichen Berichten trauen darf, gewann der General ein neues und geradezu mustergültiges Interesse an geistlichen Belangen. Man kann annehmen, dass die meisten von Newmans täglichen Berichten ihren Ursprung in seiner eigenen Einbildungskraft haben.
    Colonel Fred Grant erzählte mir, sein Vater habe sich in dieser Angelegenheit so verhalten wie in allen Angelegenheiten und zu allen Zeiten – das heißt, er habe geduldet, dass Familiengebete oder was auch immer abgehaltenwurden, um andere zufriedenzustellen oder zu ihrem Wohlbefinden beizutragen; doch sagte er auch, sein Vater sei zwar ein guter, ja ein so guter Mensch wie nur einer, ob Christ oder nicht, aber er sei
kein
Mensch, der bete.
    Einige der Worte, die dem General in den Mund gelegt wurden, waren für alle, die ihn kannten, zutiefst unglaubwürdig, handelte es sich doch um kitschig-blumige Entstellungen von Äußerungen eines sehr direkten Mannes.
    Um den 14. oder 15. April herum berichtete Rev. Newman, der General habe ihm bei seinem Besuch im Krankenzimmer die Hand gedrückt und folgende erstaunliche Bemerkung von sich gegeben:
    »Dreimal stand ich im Schatten des Tals des Todes, und dreimal bin ich aus ihm wieder herausgetreten.«
    General Grant bediente sich nie einer blumigen Ausdrucksweise und hätte, ob tot oder lebendig, dergleichen niemals geäußert, weder als Zitat noch anderweitig.
    Um diese Zeit etwa begegnete ich in der Eisenbahn einem Gentleman, der in den vergangenen sechzehn Jahren mit unserer Botschaft in China in Verbindung gestanden hatte und gerade auf Heimaturlaub war, und der erzählte mir etwas über Newman. Einmal, zur Zeit, als General Grant Präsident war, habe Newman ein wenig in der Welt herumkommen wollen und den Posten eines Konsulatsinspektors erhalten. Es war ein bezahlter Posten, und das Gehalt wurde aus eigens dafür bewilligten Mitteln bestritten. War die Amtszeit eines Inspektors ausgelaufen, mussten alle nicht verausgabten Mittel an die Staatskasse zurückerstattet werden.
    Der Gesandtschaftssekretär wollte mir zu verstehen geben, dass es bei Newmans Ausgaben zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, worin diese Unregelmäßigkeiten bestanden, und so will ich mich erst gar nicht damit befassen. Dem Sekretär war nicht so sehr daran gelegen, mir zu zeigen, dass Newman ein Schurke, sondern vielmehr, dass er schlechterdings ein Esel war. Er sagte, Newman sei nach China gekommen, habe sich darangemacht, die Gesandtschaft zu überprüfen, sie sich gehörig vorgeknöpft und sei mit seiner Arbeit auch höchst zufriedenstellend vorangekommen, bis der amerikanische Gesandte ihm alles verdarb,indem er ihn darauf

Weitere Kostenlose Bücher