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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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künstlerische Architektur im Haus, es gibt keine außen.
    Jetzt kommen wir zur
     praktischen Architektur – zu dem Nützlichen, zu dem Unentbehrlichen, das die
     Inneneinrichtung eines Hauses bestimmt, das es durch eine kluge oder aber durch eine
     dumme und untaugliche Anlage und Verteilung der Räume zu einer bequemen, behaglichen
     und zufriedenstellenden Bleibe oder aber zu deren Gegenteil macht. Das Innere des
     Hauses beweist, dass Cosimos Architekt nicht bei Sinnen war. Und mir scheint, es ist
     nicht gerecht und auch nicht freundlich von Baedeker, bis zum heutigen Tag seinen
     Namen und sein Verbrechen preiszugeben. Ich bin edelmütiger und menschlicher als
     Baedeker und unterdrücke ihn. Er ist mir ohnedies entfallen.
    Ich will auf die
     Einzelheiten des Hauses eingehen, nicht weil ich mir einbilde, dass es sich von
     irgendeinem anderen Palast aus alter oder neuer Zeit auf dem europäischen Kontinent
     wesentlich unterscheidet, sondern weil mich jedes dieser verrückten Details
     interessiert und man insofern erwarten kann, dass es auch für andere Mitglieder der
     Menschheit von Interesse ist, besonders für Frauen. Wenn sie Romane lesen,
     überspringen sie gewöhnlich das Wetter, aber mir ist aufgefallen, dass sie alles,
     was ein Schriftsteller über Einrichtung, Raumgestaltung, Komfort und den allgemeinen
     Stil eines Heims schreibt, gierig verschlingen.
    Das Innere dieser Baracke ist so zerhackt und ohne
     jedes System, dass manbei dem Versuch, eine Statistik der
     Hackschnitzel zu erstellen, keine genauen Zahlen angeben kann.
    Im Untergeschoss oder
     Keller gibt es Folgendes:
    Ställe und Boxen für viele Pferde – genau unter dem
     zentralen Schlafgemach. Die ganze Nacht über tanzen die Pferde geräuschvoll zu dem
     drängenden Werben der zahllosen Fliegen.
    Futterspeicher.
    Remise.
    Azetylengasanlage.
    Eine riesige Küche. Schon seit Jahren nicht mehr in
     Betrieb.
    Eine
     weitere Küche.
    Kohlenräume.
    Koksräume.
    Torfräume.
    Brennholzräume.
    Drei Öfen.
    Weinkeller.
    Verschiedene Lagerräume für alle möglichen Haushaltsvorräte.
    Jede Menge leerer und
     undefinierbarer Räume.
    Ein Labyrinth von Korridoren und Gängen, das dem
     Fremden die absolute Gewissheit bietet, dass er sich verirren wird.
    Eine riesige
     Senkgrube!
Sie wird alle dreißig Jahre geleert.
    Zwei düstere Treppen,
     die zum Erdgeschoss führen.
    Nach meiner Zählung etwa zwanzig
     Unterteilungen.
    Dieser Keller scheint die vollen Maße der Grundmauern einzunehmen – sagen wir
     sechzig mal zwanzig Meter.
    Das Erdgeschoss, wo ich diktiere, ist in
     dreiundzwanzig Räume, Säle, Korridore und so weiter zerstückelt. Das Stockwerk
     darüber enthält achtzehn solcher Unterteilungen. Eine davon ist ein Billardraum,
     eine andere der große Salon.
    Das oberste Stockwerk besteht aus zwanzig
     Schlafzimmern und einer Heizanlage. Zwangsläufig sind es große Zimmer, denn auf
     jeder Seite finden sich zehn, und sie beanspruchen die gesamte Länge von sechzig und
     die gesamteBreite von zwanzig Metern, den großzügigen Flur oder
     Gang abgerechnet. Dort oben gibt es schöne Kamine, und die Schlafzimmer könnten
     reizend sein, wenn sie nur hübsch und komfortabel möbliert und hergerichtet wären.
     Aber dazu müsste es einen Aufzug geben – keinen europäischen Aufzug mit gerade mal
     ausreichend Platz zum Stehen und seiner unmerklichen Bewegung, sondern einen
     geräumigen und schnellen amerikanischer Art.
    Zu den Zimmern gelangt man heute auf dieselbe Weise
     wie zu Cosimos Zeiten – mit Beinkraft. Die Ziegelböden sind nackt und ungestrichen,
     die Wände nackt und in der beliebtesten aller europäischen Farben gestrichen, was
     schon immer ein abstoßendes Gelb war, das einem den Magen umdreht. Es heißt, dass
     diese Zimmer nur für das Gesinde bestimmt waren und jeweils zwei oder drei
     Bedienstete beherbergen sollten. Es scheint gewiss, dass sie in den letzten fünfzig
     oder hundert Jahren nur von Bediensteten bewohnt worden sind, andernfalls würden sie
     wenigstens Überreste von Gestaltung aufweisen.
    Falls sie also nur für das Gesinde gedacht waren,
     wo haben dann Cosimo und seine Familie genächtigt? Wo hat der König von Württemberg
     seine Lieben untergebracht? Denn unter diesem Stockwerk befinden sich nicht mehr als
     drei taugliche Schlafzimmer und fünf teuflische. Bei achtzig Unterteilungen im
     ganzen Haus und nur vier Personen in meiner Familie ist ein wesentlicher Tatbestand
     unabweisbar: dass

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