Meine geheime Autobiographie - Textedition
künstlerische Architektur im Haus, es gibt keine außen.
Jetzt kommen wir zur
praktischen Architektur – zu dem Nützlichen, zu dem Unentbehrlichen, das die
Inneneinrichtung eines Hauses bestimmt, das es durch eine kluge oder aber durch eine
dumme und untaugliche Anlage und Verteilung der Räume zu einer bequemen, behaglichen
und zufriedenstellenden Bleibe oder aber zu deren Gegenteil macht. Das Innere des
Hauses beweist, dass Cosimos Architekt nicht bei Sinnen war. Und mir scheint, es ist
nicht gerecht und auch nicht freundlich von Baedeker, bis zum heutigen Tag seinen
Namen und sein Verbrechen preiszugeben. Ich bin edelmütiger und menschlicher als
Baedeker und unterdrücke ihn. Er ist mir ohnedies entfallen.
Ich will auf die
Einzelheiten des Hauses eingehen, nicht weil ich mir einbilde, dass es sich von
irgendeinem anderen Palast aus alter oder neuer Zeit auf dem europäischen Kontinent
wesentlich unterscheidet, sondern weil mich jedes dieser verrückten Details
interessiert und man insofern erwarten kann, dass es auch für andere Mitglieder der
Menschheit von Interesse ist, besonders für Frauen. Wenn sie Romane lesen,
überspringen sie gewöhnlich das Wetter, aber mir ist aufgefallen, dass sie alles,
was ein Schriftsteller über Einrichtung, Raumgestaltung, Komfort und den allgemeinen
Stil eines Heims schreibt, gierig verschlingen.
Das Innere dieser Baracke ist so zerhackt und ohne
jedes System, dass manbei dem Versuch, eine Statistik der
Hackschnitzel zu erstellen, keine genauen Zahlen angeben kann.
Im Untergeschoss oder
Keller gibt es Folgendes:
Ställe und Boxen für viele Pferde – genau unter dem
zentralen Schlafgemach. Die ganze Nacht über tanzen die Pferde geräuschvoll zu dem
drängenden Werben der zahllosen Fliegen.
Futterspeicher.
Remise.
Azetylengasanlage.
Eine riesige Küche. Schon seit Jahren nicht mehr in
Betrieb.
Eine
weitere Küche.
Kohlenräume.
Koksräume.
Torfräume.
Brennholzräume.
Drei Öfen.
Weinkeller.
Verschiedene Lagerräume für alle möglichen Haushaltsvorräte.
Jede Menge leerer und
undefinierbarer Räume.
Ein Labyrinth von Korridoren und Gängen, das dem
Fremden die absolute Gewissheit bietet, dass er sich verirren wird.
Eine riesige
Senkgrube!
Sie wird alle dreißig Jahre geleert.
Zwei düstere Treppen,
die zum Erdgeschoss führen.
Nach meiner Zählung etwa zwanzig
Unterteilungen.
Dieser Keller scheint die vollen Maße der Grundmauern einzunehmen – sagen wir
sechzig mal zwanzig Meter.
Das Erdgeschoss, wo ich diktiere, ist in
dreiundzwanzig Räume, Säle, Korridore und so weiter zerstückelt. Das Stockwerk
darüber enthält achtzehn solcher Unterteilungen. Eine davon ist ein Billardraum,
eine andere der große Salon.
Das oberste Stockwerk besteht aus zwanzig
Schlafzimmern und einer Heizanlage. Zwangsläufig sind es große Zimmer, denn auf
jeder Seite finden sich zehn, und sie beanspruchen die gesamte Länge von sechzig und
die gesamteBreite von zwanzig Metern, den großzügigen Flur oder
Gang abgerechnet. Dort oben gibt es schöne Kamine, und die Schlafzimmer könnten
reizend sein, wenn sie nur hübsch und komfortabel möbliert und hergerichtet wären.
Aber dazu müsste es einen Aufzug geben – keinen europäischen Aufzug mit gerade mal
ausreichend Platz zum Stehen und seiner unmerklichen Bewegung, sondern einen
geräumigen und schnellen amerikanischer Art.
Zu den Zimmern gelangt man heute auf dieselbe Weise
wie zu Cosimos Zeiten – mit Beinkraft. Die Ziegelböden sind nackt und ungestrichen,
die Wände nackt und in der beliebtesten aller europäischen Farben gestrichen, was
schon immer ein abstoßendes Gelb war, das einem den Magen umdreht. Es heißt, dass
diese Zimmer nur für das Gesinde bestimmt waren und jeweils zwei oder drei
Bedienstete beherbergen sollten. Es scheint gewiss, dass sie in den letzten fünfzig
oder hundert Jahren nur von Bediensteten bewohnt worden sind, andernfalls würden sie
wenigstens Überreste von Gestaltung aufweisen.
Falls sie also nur für das Gesinde gedacht waren,
wo haben dann Cosimo und seine Familie genächtigt? Wo hat der König von Württemberg
seine Lieben untergebracht? Denn unter diesem Stockwerk befinden sich nicht mehr als
drei taugliche Schlafzimmer und fünf teuflische. Bei achtzig Unterteilungen im
ganzen Haus und nur vier Personen in meiner Familie ist ein wesentlicher Tatbestand
unabweisbar: dass
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