Meine geheime Autobiographie - Textedition
nehmen jeden Tag ab«. Sie begreifen, dass sich die Boote bald trennen müssen und jedes um sein eigenes Überleben zu kämpfen hat. Die Rettungsboote im Schlepptau zu haben ist eine hinderliche Angelegenheit.
In dieser Nacht und am nächsten Tag leichte umlaufende Winde und nur wenig Vorankommen. Schwer zu ertragen – dieser anhaltende Stillstand und die dahinschwindenden Lebensmittel. »Alles völlig durchweicht; alle so beengtund keine Möglichkeit, die Kleider zu wechseln.« Bald kommt die Sonne heraus und brät sie. »Heute hat Joe einen weiteren Delphin gefangen; in seinem Rachen fanden wir einen Fliegenden Fisch und einen Echten Bonito.« Und jetzt geschieht etwas, was begeisterte Hoffnung aufkommen lässt – ein Landvogel findet sich ein! Er ruht eine Weile auf der Rah aus, und sie können ihn nach Belieben betrachten, beneiden und ihm für seine Botschaft danken. Als Gesprächsstoff ist er unbezahlbar – ein ganz neues Thema für Zungen, die es herzlich leid sind, über ein einziges Thema zu reden: Werden wir je wieder Land erblicken und wann? Kommt der Vogel von der Clipperton-Insel? Sie hoffen es und schöpfen Mut aus diesem Glauben. Wie sich herausstellte, brachte der Vogel gar keine Botschaft; er war nur gekommen, sie zu verspotten.
16. Mai. »Der Hahn lebt noch und stimmt jeden Tag einen Lobgesang auf den Herrn an.« Es wird eine regnerische Nacht werden, »aber das ist mir gleich, solange wir nur unsere Wasserfässer auffüllen können«.
Am 17. zieht eine jener majestätischen Erscheinungen des Meeres, eine Wasserhose, an ihnen vorüber, und sie bangen um ihr Leben. In seinem knappen Journal hält sie der junge Henry mit dem besonnenen Kommentar fest: »Von einem Schiff aus hätte sie einen schönen Anblick geboten.«
Eintrag aus dem Logbuch Kapitän Mitchells für diesen Tag:
»Nur noch ein
halber Bushel Brotkrumen übrig.«
(Und noch ein Monat des Umherirrens auf See.)
Es regnete die ganze Nacht und den ganzen Tag; alle unwohl. Dann ein Schwertfisch, der einen Bonito jagte, und auf der Suche nach Schutz und Freunden flüchtete sich das arme Ding unter das Ruder. Der riesige Schwertfisch wich nicht von der Stelle und bereitete allen große Angst. Den Männern lief das Wasser im Mund zusammen, hätte er doch ein wahres Festessen abgegeben; aber natürlich wagte es keiner, ihn anzufassen, denn wenn er belästigt worden wäre, hätte er das Boot sofort zum Kentern gebracht. Die Vorsehung schützte den armen Bonito vor dem grausamen Schwertfisch. Das war gut und richtig so. Dann erwies sich die Vorsehung als Freund der schiffbrüchigen Seeleute: Sie fingen den Bonito. Auch das war gut und richtig so. Bei der Verteilung der Gaben aber verlor man den Schwertfisch ausden Augen. Der machte sich davon; vermutlich um über derlei Feinheiten nachzudenken. »Den Männern in allen drei Booten scheint es ziemlich gutzugehen; der Schwächste unter den Kranken (der an Bord des Schiffes lange Zeit nicht Wache schieben konnte) ist wunderbar genesen.« Das ist der vom Dritten Maat so verachtete Portugiese, der eine ganze Familie von Abszessen großgezogen hatte.
Haben eine schreckliche Nacht verbracht. Die ganze Zeit starker Regen und böiger Wind, begleitet von furchtbaren Gewittern aus allen Himmelsrichtungen. –
Henrys
Logbuch.
Die schrecklichste Nacht, die ich je erlebt habe. –
Logbuch des Kapitäns
.
Breite 18. Mai 11 º 11’. In zwei Wochen haben sie also am Tag durchschnittlich vierzig Meilen nordwärts zurückgelegt. Sich zu trennen ist weiter im Gespräch. »Zu schade, aber zur Sicherheit aller müssen wir es tun.« »Zu Beginn habe ich nie geträumt; jetzt dagegen kann ich kaum die Augen zu einem Nickerchen schließen, ohne das eine oder andere Bild heraufzubeschwören – was wohl auf Schwäche zurückzuführen ist.« Ohne die Katastrophe, so glauben sie, wären sie etwa um diese Zeit in San Francisco angekommen. »B —— hätte ich zu ihrem Geburtstag gern ein Telegramm geschickt.« Das war seine kleine Schwester.
Am 19. rief der Kapitän die Rettungsboote herbei und sagte, eins von ihnen müsse auf eigene Faust weiterfahren. Das Beiboot könne nicht länger beide schleppen. Der Zweite Maat weigerte sich, aber der Erste Maat erklärte sich bereit; er war immer bereit, wenn es galt, eine Arbeit zu verrichten. Er übernahm das Boot des Zweiten Maats; sechs aus dessen Mannschaft entschieden sich dafür, im Boot zu bleiben, und zwei von seinen eigenen Leuten schlossen sich ihm an
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