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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Bord geworfen hatten.
     
    Der Eintrag des nächsten Tages verzeichnet die Katastrophe. Die drei Boote legten ab, zogen sich eine kurze Strecke weit zurück und hielten an. Die beiden beschädigten Boote leckten stark; einige der Männer waren damit beschäftigt, Wasser auszuschöpfen, andere verstopften die Löcher, so gut es ging. Der Kapitän, die beiden Passagiere und elf Mann saßen mit ihrem Anteil an Proviant und Wasser im Beiboot, mehr Platz gab es nicht, denn das Boot war nur sechseinhalb Meter lang, knapp zwei Meter breit und einen Meter tief. Der Erste Maat und acht Mann saßen in einem der beiden kleineren Boote, der Zweite Maat und sieben Mann in dem anderen. Bis auf ihre Mäntel und das, was sie am Leibe trugen, hatten die Passagiere keine Kleidungsstücke retten können. In der Einsamkeit des Meeres gab das in Flammen gehüllte Schiff, das eine große schwarze Rauchsäule zum Himmel schickte, ein großartiges Bild ab, und Stunde um Stunde saßen die Ausgestoßenen da und sahen zu. Unterdessen berechnete der Kapitän die ungeheure Entfernung, die sich zwischen ihm und dem nächsten erreichbaren Land auftat, dann reduzierte er die Rationen, um für die Notlage gerüstet zu sein: ein halber Zwieback zum Frühstück; ein Zwieback und etwas Dosenfleisch zum Mittagessen; ein halber Zwieback zum Abendbrot; zu jeder Mahlzeit ein paar Schluck Wasser. Und so begann, noch während das Schiff brannte, der Hunger an ihnen zu nagen.
     
    4. Mai
. Das Schiff brannte die ganze Nacht lichterloh; wir hoffen, dass irgendein Schiff den Widerschein gesehen hat und auf uns zuhält. Heute Vormittag aber keins gesichtet; darum haben wir beschlossen, gemeinsam nach Norden und leicht westlich zu einigen Inseln zu fahren, die zwischen 18° und 19° nördlicher Breite und 114° und 115° westlicher Länge liegen, in der Hoffnung, in der Zwischenzeit von einem Schiff aufgegriffen zu werden. Gegen 5 Uhr morgens sank das Schiff plötzlich. Wir finden die Sonne sehr heiß und stechend; alle versuchen, sich zu schützen, so gut sie können.
     
    Nun taten sie etwas ganz Natürliches: Mehrere Stunden lang warteten sie auf jenes Schiff, das den Widerschein gesehen haben mochte und sich durch die fast absolute Windstille langsam einen Weg zu ihnen bahnte. Dann gabensie auf und nahmen ihren Plan in Angriff. Betrachtet man die Karte, wird man sagen, dass ihr Kurs mühelos festzulegen war. Isabela (Galápagos-Gruppe), fast tausend Meilen entfernt, liegt genau nach Osten; die Inseln, die im Tagebuch unbestimmt als »einige Inseln« bezeichnet werden (die Revillagigedo-Inseln), liegen ihrer Meinung nach in einer weitgehend unbekannten Region tausend Meilen nach Norden und hundert oder hundertfünfzig Meilen nach Westen; Acapulco an der mexikanischen Küste liegt knapp tausend Meilen nach Nordosten. Man wird sagen, irgendwelche Felsen mitten im Meer sind nicht das, was Schiffbrüchige gebrauchen können; sollen sie also auf Acapulco und das Festland zuhalten. Das scheint der vernünftigste Kurs zu sein, doch den Tagebüchern entnimmt man schnell, dass dieser Kurs ganz und gar unvernünftig, ja reiner Selbstmord gewesen wäre. Würden die Boote auf Isabela zuhalten, würden sie die ganze Strecke über in den »Kalmen« dümpeln – was den nassen Tod bedeuten würde, mit Winden, die völlig verrücktspielen und aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig, ja sogar senkrecht wehen. Würden die Boote hingegen Kurs auf Acapulco nehmen, würden sie zwar nach der Hälfte der Strecke die »Kalmen« hinter sich lassen – vorausgesetzt, die Hälfte der Strecke wäre zu schaffen –, sich dann aber in einer jämmerlichen Lage befinden, denn dort träfen sie auf die nordöstlichen Passatwinde, die ihnen entgegenblasen würden, zumal die Boote so getakelt waren, dass sie kaum gegen den Wind segeln konnten. So brachen sie klugerweise nach Norden auf, mit einer leichten Abweichung nach Westen. Sie hatten karge Lebensmittelrationen für nur mehr zehn Tage; das Beiboot hatte die anderen im Schlepptau; sie konnten sich nicht darauf verlassen, in den Kalmen tatsächlich voranzukommen, und hatten noch immer vier- oder fünfhundert Meilen Kalmen vor sich.
Die
sind der wahre Äquator, ein zehn- oder zwölfhundert Meilen breiter rollender, tosender, regnerischer Gürtel, der den Erdball umspannt.
    In der ersten Nacht regnete es stark, und alle waren durchnässt, aber immerhin konnten sie ihr Wasserfass auffüllen. Die Brüder saßen im Heck beim Kapitän, der

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