Meine geheime Autobiographie - Textedition
genesen« sei. Vier Seeleute waren krank, als das Schiff in Brand geriet. Es folgten fünfundzwanzig Tage schonungslosen Hungerns, und jetzt stoßen wir auf diesen merkwürdigen Eintrag: »
Alle
Männer sind munter und kräftig; selbst denjenigen, die krank waren, geht es gut
; außer dem armen Peter.« Als ich vor einigen Monaten einen Artikel schrieb, in dem ich wärmstens die zeitweilige Enthaltung von Nahrung als Kur bei mangelndem Appetit und Krankheit empfahl, wurde ich beschuldigt, einen Witz zu machen, aber es war mir ernst.
»Wir alle sind wunderbar gesund und
kräftig, vergleichsweise gesprochen.«
An diesem Tag schnallte das Hungerregimeden Gürtel ein paar Löcher enger: Die Brotration wurde von dem üblichen Stück Zwieback in der Größe eines Silberdollars
auf die Hälfte reduziert und
eine der drei täglichen Mahlzeiten gestrichen
. Das wird die Männer physisch schwächen, aber wenn noch irgendeine gewöhnliche Krankheit in ihnen steckt, wird sie verschwinden.
Noch vier Halblitermaße Brotkrumen, ein Drittel eines Schinkens, drei kleine Dosen Austern und zwanzig Gallonen Wasser übrig. –
Logbuch des Kapitäns
.
Der hoffungsvolle Ton des Tagebuchschreibers hält an. Es ist bemerkenswert. Man schaue sich eine Karte an und prüfe nach, wo sich das Boot befindet: Breite 16 º 44’, Länge 119 º 20’. Das ist mehr als zweihundert Meilen westlich der Revillagigedo-Inseln – also segeln sie, wie das Boot auch getakelt ist, zweifellos gegen die Passatwinde an. Der für ein solches Boot erreichbare nächste Landfall ist die »Amerikanische Inselgruppe«,
sechshundertfünfzig
Meilen entfernt
in westlicher Richtung – und doch kein Ton von Kapitulation, nicht einmal von Mutlosigkeit! Aber am 30. Mai »bleiben uns noch:
eine Dose Austern; drei Pfund Rosinen; eine Dose Suppe; ein Drittel eines
Schinkens; drei Halblitermaße Zwiebackkrumen
«. Und fünfzehn ausgehungerte Männer, die, während sie sechshundertfünfzig Meilen entlangkriechen und -krauchen, davon leben müssen. »Irgendwie fühle ich mich durch die Kursänderung (West nach Nord), die wir heute vorgenommen haben, ermutigt.« Sechshundertfünfzig Meilen mit einer Handvoll Proviant. Selbst zweiunddreißig Jahre danach sollten wir dankbar sein, dass ihnen eines gnädigerweise nicht bewusst war: Es sind nicht sechshundertfünfzig Meilen, die sie mit dieser Handvoll entlangkriechen müssen, sondern
zweitausendzweihundert!
Ist die Lage, so wie sie ist, nicht verklärt genug? Nein. Die Vorhersehung fügte ein überraschendes Detail hinzu: Einer der Ruderer des Bootes, angeheuert als gewöhnlicher Matrose, war ein
verbannter Herzog
– ein Däne. Mehr erfahren wir über ihn nicht, nur diese Erwähnung; das ist alles, zusammen mit der schlichten Bemerkung, dass »er einer unserer besten Leute ist« – ein Kompliment, wie es für einen Herzog oder sonst einen Mann bei diesem Männlichkeitstest größer nicht hätte ausfallen können. Nach diesem flüchtigenBlick auf ihn, dort an seinem Riemen, und nach dem schönen Lobspruch entzieht er sich für alle Zeiten unserer Kenntnis. Für alle Zeiten, es sei denn, er liest zufällig diese Zeilen und gibt sich zu erkennen.
Der letzte Maitag ist gekommen. Und nun ist eine Katastrophe zu berichten. Denken Sie darüber nach, sinnen Sie darüber nach, und wenn Sie mit Ihrer Familie beisammensitzen und Ihren Blick über den gedeckten Frühstückstisch schweifen lassen, versuchen Sie zu verstehen, wie viel es bedeutet. Gestern waren drei Halblitermaße Brotkrumen übrig; heute Morgen findet man den kleinen Sack geöffnet, und
es fehlen einige Brotkrumen
. »Es widerstrebt uns, jemanden einer so schurkischen Tat zu verdächtigen, aber es besteht kein Zweifel, dass ein schweres Verbrechen begangen worden ist. In zwei Tagen werden die verbliebenen Krümel mit Sicherheit verzehrt sein. Gott gebe uns die Kraft, die Amerikanische Inselgruppe zu erreichen!« In Honolulu erzählte mir der Dritte Maat, in jenen Tagen hätten sich die Männer voller Bitterkeit daran erinnert, dass der Portugiese zweiundzwanzig Tagesrationen hinuntergeschlungen hatte, während er dalag und darauf wartete, von dem brennenden Schiff gebracht zu werden, und jetzt verfluchten sie ihn und schworen einen Eid, dass er, sollte es zu Kannibalismus kommen, der Erste wäre, der für die anderen zu leiden hätte.
Der Kapitän hat seine Brille verloren, deshalb kann er unsere Taschengebetbücher nicht so oft lesen, wie er es wohl möchte,
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