Meine geheime Autobiographie - Textedition
steuerte. Der Platz war beengt; niemand konnte richtig schlafen. »Blieben auf Kurs, bis Böen uns abtrieben.«
Stürmisch und böig der nächste Morgen, mit strömendem Regen. Eineschwere und gefährliche »kabbelige« See. Man staunt, wie solche Boote darin bestehen können. Wenn ein Mann und ein Hund in einem Boot von der Größe des Beiboots den Atlantik überqueren, spricht man von einer tollkühnen Meisterleistung, und das ist es auch; aber dieses Beiboot war überladen mit Menschen und anderem Plunder und nur einen Meter tief. »Natürlich mussten wir oft an alle daheim denken und waren froh, uns daran zu erinnern, dass am heutigen Sonntag das Abendmahl gefeiert wurde und unsere Freunde Gebete für uns sprechen würden, auch wenn sie von der Gefahr, in der wir schwebten, nichts wussten.«
In den ersten drei Tagen und Nächten konnte sich der Kapitän nicht einmal ein Nickerchen leisten, in der vierten Nacht aber fiel er in einen kurzen Schlaf. »Der schlimmste Seegang bisher.« Gegen zehn Uhr nachts änderte der Kapitän den Kurs und steuerte Richtung Ostnordost, in der Hoffnung, zur Clipperton-Insel zu gelangen. Sollte ihm das misslingen, war es auch nicht weiter schlimm, denn dann wäre er in einer besseren Position, die anderen Inseln zu erreichen. An dieser Stelle will ich anmerken, dass er die Insel nicht fand.
Am 8. Mai den ganzen Tag kein Windhauch – die Sonne glühend heiß. Sie begannen zu rudern. Zahlreiche Delphine, aber fangen konnten sie keinen. »Ich glaube, wir alle begreifen mehr und mehr, in welcher schrecklichen Lage wir uns befinden.« »Ein Schiff braucht oft Wochen, um die Kalmen zu durchqueren – wie viel länger erst ein Boot wie das unsrige.« »Wir sitzen so gedrängt, dass wir uns zum Schlafen nicht ausstrecken können, sondern Schlaf finden müssen, wie er eben kommt.«
Natürlich wird diese Enge immer zermürbender, aber es entspricht der menschlichen Natur, es nicht immer wieder festzuhalten; weitere fünf Wochen werden so vergehen – wir dürfen nicht vergessen, dass es in den Augen des Tagebuchschreibers unsere Betten umso weicher macht.
Am 9. Mai gibt ihm die Sonne eine Warnung: »Wenn man mit beiden Augen hinsieht, ist der Horizont so gekreuzt: X.« »Henry geht es gut, aber er grübelt mehr über unsere schwierige Lage, als ich mir wünsche.« Sie fingen zwei Delphine – sie schmeckten gut. »Der Kapitän glaubte, der Kompass sei nicht mehr zuverlässig, aber dann zeigte sich der lange nicht sichtbareNordstern – ein willkommener Anblick – und bestätigte die Anzeige des Kompasses.«
10. Mai, Breite 7 º 0’ 3’’ N, Länge 111 º 32’ W. In den sechs Tagen, seit sie die Gegend um das gesunkene Schiff verlassen haben, hatten sie also dreihundert Meilen Richtung Norden zurückgelegt. »Den ganzen Tag in einer Flaute getrieben.« Und natürlich kochend heiß; ich war selbst dort unten und erinnere mich an diese Einzelheit. »Es ist so, wie der Kapitän sagt. Alles Romantische ist längst entschwunden, und ich glaube, die meisten von uns sehen unserer schrecklichen Lage voll ins Gesicht.« »Wir kommen auf unserem Kurs nur geringfügig voran.« Schlechte Nachrichten vom hintersten Boot; die Männer sind nicht sparsam; »sie haben alles Dosenfleisch verzehrt, das vom Schiff mitgenommen wurde, und werden allmählich unzufrieden«. Anders die Leute des Ersten Maats – offensichtlich sind sie unter den Augen eines
Mannes
.
Unter dem Datum des 11. Mai: »Wir stehen still! Schlimmer noch – letzte Nacht haben wir mehr verloren, als wir gestern gewonnen haben.« In der Tat verloren sie drei von den dreihundert Meilen Nordwert, die sie so mühsam zurückgelegt hatten. »Der Hahn, der, als das Schiff in Flammen stand, gerettet und ins Boot geworfen worden war, lebt noch und kräht bei Tagesanbruch, was uns sehr aufmuntert.« Wovon hat er eine ganze Woche lang gelebt? Haben die hungernden Männer ihn von ihrem kärglichen Proviant gefüttert? »Das Schiff des Zweiten Maats wieder ohne Wasser, was beweist, dass sie mehr trinken, als ihnen zusteht. Der Kapitän ist ziemlich scharf mit ihnen ins Gericht gegangen.« Das stimmt; seine Bemerkungen stehen in meinem alten Notizbuch; ich habe sie vom Dritten Maat im Krankenhaus von Honolulu. Aber hier ist dafür kein Platz, außerdem sind sie zu explosiv. Außerdem bewunderte sie der Dritte Maat, und was er bewunderte, das schmückte er vermutlich aus.
Noch immer hielten sie voller Hoffnung nach Schiffen Ausschau. Der Kapitän
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