Meine geheime Autobiographie - Textedition
Verleger stets so, wie andere Leute von Gottheiten sprechen. Natürlich verlor der Verleger $ 200 oder $ 300 mit dem Buch und wusste das auch, als er sich auf das Wagnis einließ, doch die hingebungsvolle Verehrung des Autors, die er als Lohn erhielt, übertraf diese Summe bei weitem.
Ralph hatte wenig oder gar nichts zu tun und begleitete mich oft in die kleinen Städte im Umkreis von Boston, wo ich Vorträge hielt. Von Bostonaus waren sie innerhalb einer Stunde zu erreichen, und gewöhnlich brachen wir gegen sechs Uhr auf und kehrten am Morgen in die Stadt zurück. Nach rund einem Monat hatten wir Bostons Anhängsel hinter uns gebracht, und dieser Monat war der einfachste und angenehmste von den vier oder fünf, die die »Vortragssaison« ausmachten. Damals erlebte das »Vortragssaalsystem« seine Blütezeit, und James Redpaths Büro in der School Street in Boston war für das Management in den Nordstaaten und Kanada zuständig. Redpath schickte die Redner in Sechser- oder Achtergruppen in die Vortragssäle im ganzen Land, für ein Honorar von durchschnittlich $ 100 pro Abend und Redner. Seine Provision betrug 10 Prozent; jeder Redner trat an etwa hundertzehn Abenden in der Saison auf. Auf seiner Liste standen einige Zugpferde: Henry Ward Beecher; Anna Dickinson; John B. Gough; Horace Greeley; Wendell Phillips; Petroleum V. Nasby; John Billings; Hayes, der Polarforscher; Vincent; *** der englische Astronom; Parsons, der irische Orator; Agassiz. Außerdem hatte er zwanzig oder dreißig Männer und Frauen von geringer Bedeutung und mäßigem Renommee auf seiner Liste, die sich für ein Honorar zwischen $ 25 und $ 50 abplagten. Ihre Namen sind längst in Vergessenheit geraten. Nur ein Kunstgriff konnte ihnen einen Platz am Rednerpult sichern. Und Redpath beherrschte diesen Kunstgriff. Sämtliche Vortragssäle wünschten Publikumsmagnete, wünschten sie sehnsüchtig, begierig und energisch. Redpath erhörte ihre Gebete – unter einer Bedingung: Für jeden Haus-Füller, den er ihnen zugestand, mussten sie mehrere seiner Haus-Entleerer buchen. Diese Abmachung hielt die Vortragssäle ein paar Jahre über Wasser, letztlich aber vernichtete sie alle und machte dem Vortragsgeschäft ein Ende.
Beecher, Gough, Nasby und Anna Dickinson waren die einzigen Redner, die ihren Wert kannten und einforderten. In den Kleinstädten lag ihr Honorar bei $ 200 oder $ 250, in Großstädten bei $ 400. Mit diesen vier erzielten die Vorträgssäle (wenn das Wetter mitspielte) immer einen Gewinn, den sie dann durch die Haus-Entleerer meist wieder einbüßten.
Es gab zwei Frauen, die eigentlich Haus-Entleerer hätten sein sollen – Olive Logan und Kate Field –, aber ein oder zwei Saisons waren sie es nicht. Sie verlangten $ 100 und galten mindestens zwei Jahre lang als Haus-Füller.Danach waren sie fähige Haus-Entleerer und wurden bald ausgemustert. 1867 war Kate Field aufgrund einiger Briefe über Dickens’ Lesungen zu Beginn seiner triumphalen Amerikatournee, die sie – per Telegraph – aus Boston an die
Tribune
schickte, plötzlich zu allgemeiner Berühmtheit gelangt. Diese Briefe waren glühende Lobeshymnen – Lobeshymnen, die an Vergötterung grenzten – und trafen damit den richtigen willkommenen Ton, denn das Land selbst glühte geradezu vor Begeisterung für Dickens. Sodann war auch die Idee, einen Brief
per Telegraph
an die Zeitung zu schicken, neu und erstaunlich und als wundersames Ereignis in aller Munde. Über Nacht wurde Kate Field ein Star. Bald darauf fand sie ihren Platz auf der Bühne; doch nach zwei, drei Jahren hatte ihr Thema – Dickens – an Frische und Faszination eingebüßt. Eine Zeitlang kamen die Leute noch, um
sie
zu sehen, ihres Namens wegen; doch ihre Vorträge waren inhaltsleer, ihre Rede abstoßend gekünstelt; und als sich das Land an ihr sattgesehen hatte, wandten sich die Bühnen von ihr ab.
Sie war ein guter Mensch, und dass sie eine so vergängliche und flüchtige Berühmtheit erlangt hatte, das Unglück ihres Lebens. Für sie war diese Berühmtheit von unschätzbarem Wert, und über ein Vierteljahrhundert versuchte sie mit den verschiedensten Mitteln, ihrem Leben wenigstens einen Anschein davon zu verleihen, allerdings hatten ihre Bemühungen nur bescheidenen Erfolg. Sie starb auf den Sandwichinseln, bedauert von ihren Freunden und vergessen von der Welt.
Olive Logans Berühmtheit wiederum erwuchs aus – das wissen nur Eingeweihte. Offensichtlich war es eine künstlich erzeugte
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