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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Berühmtheit, keine erworbene. Wohl verfasste sie kleine Sachen, die sie in Zeitungen und unbedeutenden Zeitschriften unterbrachte, aber Talent oder etwas in dieser Richtung war in ihnen nicht zu erkennen. Sie hätten sie in hundert Jahren nicht bekannt gemacht. In Wahrheit beruhte ihr Ruf auf kurzen Zeitungsmeldungen, die ihr Mann, ein kleiner Journalist mit kleinem Gehalt, in Umlauf brachte. Ein, zwei Jahre lang hielten sich diese Meldungen hartnäckig; man konnte kaum eine Zeitung aufschlagen, ohne auf sie zu stoßen.
    »Es heißt, dass sich Olive Logan in Nahant ein Cottage gemietet hat und den Sommer dort verbringen wird.«
    »Olive Logan spricht sich entschieden gegen kurze Röcke als Nachmittagsbekleidung aus.«
    »Berichte, denen zufolge Olive Logan den kommenden Winter in Paris verbringen wird, sind verfrüht. Sie hat sich noch nicht entschieden.«
    »Olive Logan war Samstagabend im Wallack’s und hieß das neue Stück umstandslos gut.«
    »Olive Logan ist von ihrer besorgniserregenden Krankheit so weit genesen, dass ihre Ärzte, sollte sich ihr Zustand weiter verbessern, ab morgen keine Bulletins mehr veröffentlichen werden.«
    Das Resultat dieser täglichen Werbung war eigenartig. Olive Logans Name war einer breiten Öffentlichkeit so vertraut wie der jedes anderen Prominenten der Zeit, und die Leute beredeten ihr Tun und Lassen voller Interesse und diskutierten ernsthaft ihre Ansichten. Hin und wieder wollte sich ein unwissender Mensch aus der hintersten Provinz informieren, und dann standen allen Beteiligten Überraschungen bevor:
    »Wer
ist
Olive Logan?«
    Als sich herausstellte, dass niemand die Frage beantworten konnte, waren die Zuhörer erstaunt. Es war ihnen nie in den Sinn gekommen, Ermittlungen anzustellen.
    »Was hat sie
geleistet

    Wieder blieben die Zuhörer stumm. Sie wussten es nicht. Sie hatten sich nie danach erkundigt.
    »Wie kommt es dann, dass sie überall so gefeiert wird?«
    »Es hat mit – ach, ich weiß auch nicht was – zu tun. Ich habe nie danach gefragt, sondern immer angenommen, dass jeder Bescheid wüsste.«
    Zu meiner Unterhaltung stellte ich diese Fragen oft selbst, und zwar Leuten, die über den Star und seine Tätigkeiten und Aussprüche flinkzüngig zu reden wussten. Die Befragten waren überrascht, als sie feststellten, dass sie an ihren Ruhm blind geglaubt hatten, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wer Olive Logan war oder was sie geleistet hatte – falls überhaupt etwas.
    Kraft dieser künstlich erzeugten Berühmtheit trat Olive Logan ans Rednerpult, und wenigstens zwei Saisons lang strömten die Vereinigten Staaten in die Vortragssäle, um sie zu erleben. Sie hatte nichts als einen Namen undein paar prächtige kostspielige Kleider vorzuweisen, und keine dieser Besonderheiten war von dauerhafter Qualität, auch wenn sie mit ihnen für eine Weile ein Honorar von $ 100 pro Abend erzielen konnte. Vor einem Vierteljahrhundert verschwand sie aus dem Gedächtnis der Menschheit.
    Auf meinen Vortragsreisen außerhalb von Boston war mir Ralph Keeler ein angenehmer Begleiter, und wenn das Komitee uns zum Gasthaus geleitet und sich verabschiedet hatte, führten wir auf unseren Zimmern viele gute Gespräche und rauchten. Ein Komitee gab es immer, und die Komiteemitglieder trugen seidene Amtszeichen; sie holten uns am Bahnhof ab und fuhren uns zum Vortragssaal; sie saßen nach Minstrel-Art in einer Stuhlreihe hinter mir auf der Bühne, und in der Anfangszeit stellte mich immer der Vorsitzende dem Publikum vor; doch diese Einführungen waren so übertrieben schmeichelhaft, dass sie mich beschämten, und so war ich, wenn ich meinen Vortrag begann, bereits schwer im Hintertreffen. Es war eine alberne Angewohnheit; es bestand überhaupt kein Anlass für eine Einführung; der Einführende war fast jedes Mal ein Esel und seine vorbereitete Rede ein Durcheinander aus vulgären Komplimenten und trostlosen Versuchen, komisch zu wirken; folglich stellte ich mich nach der ersten Saison immer selber vor – natürlich bediente ich mich dabei einer Parodie auf die veraltete Einführung. Bei den Komiteevorsitzenden war diese Veränderung nicht beliebt. Sich vor einem zahlreichen Publikum von Mitbürgern feierlich zu erheben und eine kleine teuflische Ansprache zu halten war die Freude ihres Lebens, und dass ihnen diese Freude genommen wurde, war mehr, als sie verkraften konnten.
    Für eine Weile war meine Selbsteinführung eine höchst wirksame »Vorspeise«, dann misslang sie.

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