Meine geheime Autobiographie - Textedition
mitreißenden Effekt eines spontanen Begeisterungsausbruchs erzielen zu können. Das war keine originelle Idee; Anfänger sind früher schon auf sie hereingefallen. Natürlich nie zweimal, immer nur einmal.
Als er die große Bühne betrat, empfing ihn das riesige Publikum mit anfeuerndem Enthusiasmus, und man sah ihm das Vergnügen an, das er empfand. Er legte sein Manuskript auf das Pult, und einige Minuten lang verbeugte er sich lächelnd und lächelte sich verbeugend. Schließlich legte sichder Lärm, und es trat tiefe erwartungsvolle Stille ein. Er trat vors Pult und blickte eine Weile auf das Meer von Gesichtern, dann streckte er langsam die Hand aus und begann in gemessenem Ton und höchst eindrucksvoll etwa wie folgt:
»Wenn man, ein Heimatloser, inmitten der ungeheuren Einsamkeit des vereisten Meeres steht, das sich kalt, weiß und unwirtlich Meile um Meile, Leuge um Leuge bis zum fernen, trüben Horizont erstreckt, eine feierliche Wüste, aus deren Busen sich hier und da und dort herrliche Eisgebilde erheben, welche auf wundersame Weise die Triumphe des Menschen, des Architekten, des Baumeisters nachahmen – finstere Festungen, prächtige Burgen, majestätische Tempel, die Fundamente in geheimnisvolles Zwielicht gehüllt, die Zinnen und Türme sanft glühend im Rosenschimmer des erlöschenden Feuers der Mitternachtssonne –«
Eine Gestalt rannte quer über die Bühne, berührte den Redner an der Schulter, beugte sich dann zum Publikum vor, formte die Hände zu einem Sprechrohr und rief –
Ralph Keeler
Er war Kalifornier. Vermutlich habe ich ihn in den Tagen – um 1865 – in San Francisco kennengelernt, als ich Zeitungsreporter war und Bret Harte, Ambrose Bierce, Charles Warren Stoddard und Prentice Mulford in Mr. Joe Lawrences Wochenmagazin
The Golden Era
ihre ersten literarischen Arbeiten veröffentlichten. Jedenfalls war ich mit ihm einige Jahre später in Boston bekannt, wo er mit Howells, Aldrich, Boyle O’Reilly und James T. Fields, die ihn sehr schätzten, Freundschaft schloss. Ich sage, er schloss Freundschaft mit ihnen, und das ist die richtige Bezeichnung, obwohl er selbst der Beziehung keinen so vertraulichen Namen beigelegt hätte, denn er war der bescheidenste junge Mann, den es je gegeben hat, und blickte aus seiner niederen Obskurität demütig zu diesen angesehenen Männern auf, war auf jungenhafte Weise dankbar für das freundliche Interesse, das sie ihm entgegenbrachten, und zeigte seine Dankbarkeit in aller Offenheit; und wenn Mr. Emerson und Mr. Whittier und Holmes und Lowell und Longfellowihm zulächelten oder zunickten, war sein Glücksgefühl das Hübscheste, was es auf der Welt zu sehen gab. Damals war er nicht älter als vierundzwanzig; die angeborene Liebenswürdigkeit seiner Sinnesart war noch nicht von Sorgen und Enttäuschungen getrübt; er war vergnügt und zuversichtlich, arglos und voll einnehmender, anspruchsloser kleiner literarischer Ambitionen, und jeder, dem er begegnete, wurde sein Freund und nahm ihn – aus einem natürlichen und unerklärlichen Impuls heraus – unter seine Fittiche.
Er hatte wohl weder ein Zuhause noch eine Kindheit gehabt. Als kleiner Bursche war er von Gott weiß woher nach Kalifornien gewandert und hatte sich mit verschiedenen niedrigen Anstellungen fröhlich sein Brot verdient, sich dabei weitergebildet und es sich einigermaßen gutgehen lassen. Einer seiner Erwerbszweige war der Auftritt als Holzschuhtänzer in einer »Nigger«-Show. Als er um die zwanzig war, kratzte er $ 85 zusammen – in Dollarnoten, in Gold etwa die Hälfte der Summe –, und mit diesem Kapital finanzierte er eine Grand Tour durch Europa und veröffentlichte einen Bericht über seine Reisen im
Atlantic Monthly
. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren schrieb er einen Roman mit dem Titel
Gloverson und seine stillen Teilhaber
; und nicht nur das, er fand sogar einen Verleger dafür, was in seinem Fall nicht weiter überraschend war, denn nicht einmal ein Verleger ist hartherzig genug, um gewissen Leuten etwas abzuschlagen – und Ralph war einer von diesen Leuten. Seine Dankbarkeit für den Gefallen, den man ihm erwiesen hatte, war so schlicht und ehrlich, so beredt und berührend, dass einem Verleger klar sein musste, dass aus dem Buch selbst dann Profit zu schlagen war, wenn es kein Geld einbrachte, Profit, der über den Geldwert und den Wirkungsbereich von Geld hinausging. Das Buch brachte kein Geld ein; nicht einen Penny; aber Ralph Keeler sprach von seinem
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