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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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gesehen.
    Hierauf ging Keeler nach Ohio, stöberte einen von Osawatomie Browns Brüdern auf dessen Farm auf und schrieb die Geschichte seiner Abenteuer bei der Flucht aus Virginia nach der Tragödie von 1859 mit der Hand auf – zweifellos die bewundernswerteste Reportage, die je von einem Menschen ohne Kenntnis der Kurzschrift verfasst wurde. Sie wurde im
Atlantic Monthly
veröffentlicht, und ich nahm drei Anläufe, sie zu lesen, wurde aber jedes Mal abgeschreckt, bevor ich sie zu Ende gelesen hatte. Der Bericht war so lebhaft und so wirklich, dass ich das Gefühl hatte, die Abenteuer selbst zu durchleben und an ihren unerträglichen Tücken teilzuhaben, und die Marter war so quälend, dass ich die Geschichte nie zu Ende lesen konnte.
    Bald darauf beauftragte die
Tribune
Keeler, nach Kuba zu reisen und über eine Art Frevel oder Affront zu berichten, den die spanischen Behörden ganz nach ihrer Sitte und Gewohnheit gegen uns verübt hatten. Er fuhr mit dem Dampfschiff von New York ab und wurde in der Nacht, bevor das Schiff Havanna erreichte, zum letzten Mal lebend gesehen. Es hieß, er habe aus seiner Mission kein Geheimnis gemacht, sondern auf seine offene und unschuldige Art unverblümt darüber gesprochen. An Bord waren einige spanische Militärs. Mag sein, dass er nicht ins Meer geworfen wurde; doch allgemein glaubte man, dass genau das geschah.
    Fragmente meiner Autobiographie
    Aus Kapitel IX
    Es war 1849. Ich war damals vierzehn Jahre alt. Wir wohnten noch am Ufer des Mississippi in Hannibal, Missouri, in dem neuen Holzrahmenhaus, das mein Vater fünf Jahre zuvor gebaut hatte. Das heißt, einige von uns wohnten in dem neuen Teil, die anderen im rückwärtigen, dem alten Teil – dem »L«. Im Herbst gab meine Schwester ein Fest und lud alle jungen Leute des Dorfes im heiratsfähigen Alter ein. Ich war zu jung für die Gesellschaft und ohnedies zu schüchtern, um mich unter die jungen Damen zu mischen, daher wurde ich nicht eingeladen – jedenfalls nicht für den ganzen Abend.Zehn Minuten – das war mein ganzer Anteil. In einem kleinen Märchenspiel sollte ich die Rolle eines Bären übernehmen und mich mit einem stramm sitzenden braunen Pelz verkleiden, der zu einem Bären passte. Gegen halb elf wurde mir befohlen, auf mein Zimmer zu gehen, die Verkleidung anzulegen und in einer halben Stunde fertig zu sein. Ich machte auch Anstalten, besann mich aber eines anderen, wollte ich doch ein wenig üben, und das Zimmer war sehr klein. Ohne zu ahnen, dass ein Dutzend der jungen Leute sich bereits dort aufhielt, um sich für ihre Rollen umzuziehen, ging ich hinüber zu dem großen unbewohnten Haus Main Street, Ecke Hill Street. 32 Ich nahm den kleinen schwarzen Sklavenjungen Sandy mit, und wir wählten eine geräumige leere Kammer im Obergeschoss. Als wir eintraten, unterhielten wir uns, und das gab zwei, drei halbbekleideten jungen Damen die Gelegenheit, sich ungesehen hinter einen Wandschirm zu flüchten. Ihre Roben und anderen Kleidungsstücke hingen an Haken hinter der Tür, aber ich sah sie nicht; Sandy war es, der die Tür schloss, weil er aber in Gedanken schon ganz bei der Aufführung weilte, bemerkte er sie wohl ebenso wenig wie ich.
    Der Wandschirm war ziemlich klapprig, mit vielen Löchern, da ich jedoch nicht wusste, dass sich Mädchen dahinter verbargen, störte mich dieser Befund nicht weiter. Hätte ich es gewusst, hätte ich mich in der Flut grausamen Mondlichts, das sich durch die vorhanglosen Fenster ergoss, nicht entkleidet; ich wäre vor Scham gestorben. Von Erkenntnis unbehelligt, zog ich mich splitternackt aus und begann zu üben. Ich brannte vor Ehrgeiz; ich war entschlossen, in meiner Rolle zu glänzen; ich fieberte danach, mir einen Namen als Bär zu machen und weitere Engagements zu erhalten; ich stürzte mich in meine Arbeit mit einer Hingabe, die Großes versprach. Auf allen vieren tollte ich von einem Ende des Raumes zum anderen, und Sandy applaudierte begeistert; ich lief aufrecht und brummte, knurrte und fauchte; ich machte einen Kopfstand und einen Überschlag nach dem anderen, tanzte tollpatschig mit angewinkelten Tatzen und schnüffelte mit meiner imaginären Nase umher; ich tat alles, was ein Bär tun kann, und vieles, was ein Bär nicht tun kann und was ein Bär mit einem Sinn für Würde ohnehinnicht würde tun wollen; und natürlich hegte ich nicht den leisesten Verdacht, dass ich mich vor jedem außer Sandy lächerlich machte. Als ich wieder einmal einen Kopfstand machte,

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