Meine geheime Autobiographie - Textedition
der fernen Ebene lag
Florenz, rosa, grau und braun, mit der mächtigen rostigen Kuppel des Doms, die das
Stadtzentrum wie ein gefesselter Ballon beherrschte, zur Rechten von der kleineren
Kuppel der Medici-Kapellen flankiert, zur Linken von dem luftigen Turm des Palazzo
Vecchio; das Rund des Horizonts war von einem wogenden Rand hoher blauer, von
unzähligen Villen weiß beschneiter Hügel gesäumt. Nach neun Monaten der
Bekanntschaft mit diesem Panorama bin ich noch immer wie zu Beginn der Meinung, dass
es das schönste Bild auf unserem Planeten ist, die bezauberndste, für Auge und Geist
befriedigendste Aussicht. Zu sehen, wie die Sonne untergeht, im eigenen Rosa,
Violett und Gold ertrinkt und Florenzmit Fluten von Farben
überschüttet, die alle scharfen Umrisse abschwächen und verwischen und die feste
Stadt in eine Stadt der Träume verwandeln, ist ein Anblick, der selbst die kälteste
Natur ergreift und eine teilnahmsvolle vor Wonne trunken macht.
26. Sept. 92.
In Florenz
angekommen. Habe mir die Haare schneiden lassen. Das war ein Fehler. Am Nachmittag
in die Villa eingezogen. Am Abend wurden einige der Reisekoffer vom Contadino
heraufgebracht – falls das sein Titel ist. Er ist der Mann, der auf dem Gehöft wohnt
und sich für den Eigentümer, den Marquis, um alles kümmert. Der Contadino ist
mittleren Alters und wie die übrigen Bauern – will sagen gebräunt, stattlich,
gutmütig, höflich und völlig unabhängig, ohne das offensiv zur Schau zu stellen. Mir
wurde gesagt, er habe für die Reisekoffer zu viel berechnet. Mein Informant erklärte
mir, das sei üblich.
27.
Sept.
Die restlichen Koffer wurden heute Morgen heraufgebracht. Wieder
berechnete er zu viel, aber mir wurde gesagt, auch das sei üblich. Dann ist es also
in Ordnung. Ich möchte nicht gegen die Gebräuche verstoßen. Landauer, Pferde und
Kutscher gemietet. Konditionen: vierhundertachtzig Francs im Monat und ein Trinkgeld
für den Kutscher, für die Unterbringung von Mann und Pferden bin ich verantwortlich,
doch für sonst nichts. Der Landauer hat schon bessere Tage gesehen und wiegt dreißig
Tonnen. Die Pferde sind schwach und haben Einwände gegen den Landauer; ab und zu
bleiben sie stehen, drehen sich um und mustern ihn erstaunt und misstrauisch. Das
führt zu Verzögerungen. Die Leute an der Straße aber unterhält es. Sie kamen
angelaufen, standen, die Hände in den Hosentaschen, herum und besprachen die
Angelegenheit untereinander. Man sagte mir, ein vierzig Tonnen schwerer Landauer sei
nichts für Pferde wie diese – die könnten gerade mal eine Schubkarre ziehen.
An dieser Stelle möchte
ich ein paar die Villa betreffende Notizen einschieben, die ich im Oktober gemacht
habe:
Dies ist ein
dreistöckiges Haus. Es ist kein altes Haus – ich meine, vom italienischen Standpunkt
aus. Zweifellos hat an dieser günstigen Stelle schon seit tausend Jahren v. Chr.
immer ein hübsches Wohnhaus gestanden; das gegenwärtigeaber
soll nur zweihundert Jahre alt sein. Von außen ist es ein schlichtes Gebäude,
quadratisch wie eine Schachtel, hellgelb gestrichen, ausgestattet mit grünen
Fensterläden. Es steht in gebieterischer Position auf einer großzügigen künstlichen
Terrasse, die von starkem Mauerwerk umgeben ist. Von den Gemäuern neigen sich die
Weinberge und Olivenhaine des Landguts dem Tal entgegen; der Garten rings um das
Haus ist mit Blumen und einer Ansammlung von Zitronensträuchern in großen
Keramikkübeln ausgestattet; es gibt mehrere hohe Bäume – stattliche Steinkiefern –,
außerdem Feigenbäume und mir unbekannte Baumarten; Rosen überfluten in rosa und
gelben Katarakten die Stützmauern und die verwitterten, bemoosten Steinurnen auf den
Torpfeilern, genau wie sie es auf den Zwischenvorhängen von Theatern tun; hohe
Lorbeerhecken säumen die Kieswege. Einer der hinteren Teile der Terrasse wird von
einem dichten Gehölz alter Ilex eingenommen. Dort steht ein steinerner Tisch mit
steinernen Bänken. In dieses Gehölz dringt nie ein Sonnenstrahl. Stets herrscht
tiefes Dämmerlicht, selbst wenn alles ringsum von dem gleißenden Sonnenglast
überschwemmt ist, der diese Gegend auszeichnet. Der Kutschweg führt vom inneren Tor
zweihundertfünfzig Meter weit durch den Weinberg bis zur öffentlichen Straße, von
dort kann man die Pferdebahn zur Stadt nehmen und wird feststellen, dass sie ein
schnelleres und
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