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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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bequemeres Fortbewegungsmittel ist als ein sechzig Tonnen schwerer
     Landauer. An der Ostfront des Hauses (vielleicht ist es auch die Südfront) ist in
     Gips das Wappen der Viviani angebracht, und eine Sonnenuhr in der Nähe misst
     zuverlässig die Zeit.
    Das Haus
     ist durch seine Robustheit eine regelrechte Festung. Die Hauptmauern – aus
     verputztem Backstein – sind einen Meter dick, die Zimmerwände, ebenfalls aus
     Backstein, fast von derselben Dicke. Die Zimmerdecken im Erdgeschoss haben eine Höhe
     von mehr als sechs Metern, auch die der oberen Stockwerke sind höher als notwendig.
     Ich habe etliche Male versucht, die Zimmer im Haus zu zählen, doch die
     Unregelmäßigkeiten verwirren mich. Offenbar sind es achtundzwanzig.
    Die Decken sind mit Fresken bemalt,
     die Wände tapeziert. Die Fußböden sind samt und sonders aus rotem Backstein,
     überzogen mit einer polierten glänzenden Zementschicht, die steinhart ist und auch
     so aussieht; denn die Oberfläche wurde gemustert, erst mit festen Farben gestrichen
     und dann mit bunten Farbsprenkeln übersät, um an Granit und andere Steine zu
     erinnern. Manchmal ist die Masse des Fußbodens eine Imitation grauen Granits, und in
     der Mitte befindet sich ein riesigerStern oder ein anderes
     Ziermuster aus modischem künstlichem Marmor; um das ganze Zimmer läuft eine sechzig
     Zentimeter breite Bordüre aus künstlichem rotem Granit, deren äußerer Rand mit einem
     zwei Zentimeter breiten Streifen aus künstlichem Lapislazuli gesäumt ist; manchmal
     besteht die Masse des Fußbodens aus rotem Granit, dann wird Grau als Saum verwendet.
     Es gibt zahlreiche Fenster und Welten aus Sonne und Licht; die Böden sind glatt,
     glänzend und voller Widerschein, denn in gewisser Weise dient jeder als ein Spiegel,
     der sämtliche Gegenstände auf die zurückhaltende Art eines Waldsees weich
     reflektiert.
    Im Erdgeschoss
     befindet sich eine winzige Familienkapelle mit Sitzbänken für zehn oder zwölf
     Personen, und über dem kleinen Altar hängt ein altes Ölgemälde, das mir so schön und
     farbenreich vorkommt wie die Arbeiten der alten Meister unten in den Galerien des
     Palazzo Pitti und der Uffizien. Zum Beispiel Botticelli; ich wünschte, ich hätte
     Zeit, ein paar Bemerkungen über Botticelli zu machen – dessen eigentlicher Name
     vermutlich Smith war.
    Die
     besondere Eigentümlichkeit des Hauses ist der Salon. Er ist eine geräumige, hohe
     Leere, die die Mitte des Hauses einnimmt; der Rest des Hauses ist um sie herum
     errichtet; sie erstreckt sich über die beiden Obergeschosse, und ihr Dach ragt um
     einen Meter über den Rest des Gebäudes hinaus. Diese Leere ist sehr eindrucksvoll.
     Die ungeheure Dimension überwältigt einen, sobald man eintritt und den Blick im Rund
     und nach oben schweifen lässt. Ich habe schon viele Namen für sie ausprobiert:
     Eislaufbahn, Mammuthöhle, Große Sahara und so weiter, doch keiner trifft es genau.
     An den Wänden verteilt stehen fünf Diwane, die wenig oder gar nichts hermachen,
     obwohl ihre Gesamtlänge siebzehn Meter beträgt. Ein Flügel wäre verloren in diesem
     Raum. Wir haben versucht, das Gefühl von Wüstenweite und Wüstenleere mit Tischen und
     anderen Dingen abzumildern, aber sie müssen ihre Niederlage eingestehen und nützen
     nichts. Was immer unter diesem himmelhohen bemalten Gewölbe steht oder geht, ist
     gnomenhaft.
    Über den sechs
     Türen befinden sich riesige, von großen nackten und ansehnlichen Gipsputten
     gestützte Gipsmedaillons und in diesen Medaillons Gipsporträts in Hochrelief von
     schönen ernsten Männern in den würdevollen Amtstrachten längst vergangener Tage –
     Florentiner Senatoren und Richter, frühere Bewohner dieses Hauses und Besitzer des
     Landguts. Das Datum zu einem dieser Männer ist 1305 – damals war er ein Richter
     mittleren Alters –, als Jugendlicher könnte er dieSchöpfer
     italienischer Kunst gekannt haben und mit Dante, in ein Gespräch vertieft, spazieren
     gegangen sein, wahrscheinlich war es auch so. Das Datum eines anderen ist 1343 – er
     könnte Boccaccio gekannt, seine Nachmittage drüben in Fiesole verbracht, auf das
     pestverseuchte Florenz hinabgeblickt und sich die unanständigen Geschichten dieses
     Mannes angehört haben, wahrscheinlich war es auch so. Das Datum eines dritten ist
     1463 – er könnte Kolumbus begegnet sein, und natürlich kannte er Lorenzo den
     Prächtigen. Sie sind alle Cerretanis – oder Cerretani-Twains,

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