Meine geheime Autobiographie - Textedition
und Nächte ruhig und beschaulich, die Abgeschiedenheit von der Welt und ihren Sorgen
so befriedigend wie ein Traum. Wir brauchen keinen Haushalt zu erledigen, keine
Pläne zu schmieden, keine Wirtschaft zu beaufsichtigen – das alles geschieht
offenbar von selbst. Man ist sich undeutlich bewusst, dass jemand sich darum
kümmert, so wie man sich bewusst ist, dass die Erde sich dreht, die Sternbilder an
ihrem Platz stehen und die Sonne sich turnusgemäß verschiebt, aber das ist alles;
man fühlt sich nicht persönlich betroffen oder auf irgendeine Weise verantwortlich.
Und doch gibt es keinen Leiter, keinen Geschäftsführer; alle Bediensteten kümmern
sich um ihren eigenen Bereich, bedürfen keiner Beaufsichtigung und erfahren auch
keine. Einmal in der Woche reichen sie detailliert aufgeschlüsselte Rechnungen ein,
und dann setzt sich die Maschinerie wieder so lautlos in Gang wie zuvor. Es gibt
keinen Lärm, kein Aufhebens, keinen Streit und kein Durcheinander – hier oben. Was
unten vor sich geht, weiß ich nicht. Am späten Nachmittag kommen Freunde aus der
Stadt, trinken im Freien Tee und erzählen uns, was in der Welt passiert; und wenn
die große Sonne über Florenz versinkt und das tägliche Wunder beginnt, halten sie
den Atem an und schauen. Es ist nicht die Zeit zum Reden.
[New Yorker Diktate]
Zeitsprung von zwei Jahren
Es folgt jetzt das New Yorker Diktat,
beginnend mit dem 9. Januar 1906
Notiz zur Anweisung künftiger Herausgeber und Verleger
dieser Autobiographie
Ich werde in diese Autobiographie Zeitungsausschnitte ohne Ende einstreuen. Wenn ich keine Abschrift in den Text einfüge, bedeutet dies, dass ich sie nicht zu einem Teil der Autobiographie mache – zumindest nicht in den ersten Auflagen. Ich füge sie an, weil ich davon ausgehe, dass, wenn sie nicht schon in den ersten Auflagen interessant sind, eine Zeit kommen wird, da man sie anführen kann, weil höchstwahrscheinlich ihr Alter sie interessant machen wird, auch wenn es ihnen in ihrer Jugend an dieser Eigenschaft fehlt.
9. Januar 1906
Je mehr ich darüber nachdenke, desto unmöglicher erscheint mir das Projekt. Die Schwierigkeiten werden mir immer deutlicher. Zum Beispiel die Vorstellung, eine fortlaufende Reihe von Begebenheiten auszublenden, die mir widerfahren sind oder von denen ich mir einbilde, dass sie mir widerfahren sind – ich sehe, dass das unmöglich ist. Möglich ist allein, über das zu reden, was sich mir im jeweiligen Augenblick aufdrängt – vielleicht etwas aus der Mitte meines Lebens oder etwas, was sich erst vor wenigen Monaten zugetragen hat.
Für mich besteht die einzige Möglichkeit darin, eine Autobiographie zu schreiben – und in Ihrem Falle, falls Sie aus dieser Masse an Vorfällen eine kurze Biographie erstellen wollen, nun, dann müssen Sie das Ding durchlesenund Material auswählen – Ihre Notizen ordnen und eine Biographie schreiben. Diese Biographie würde sich an der Masse der Autobiographie messen lassen müssen. Sie würden sie noch zu meinen Lebzeiten veröffentlichen – entspricht das Ihren Vorstellungen? (Bezieht sich auf Mr. Paines Buch.)
Mr. Paine sagte: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung könnte später festgelegt werden.
Mr. Clemens
. Ja, so ist es, und haben Sie eine Vorstellung vom Umfang?
Mr. Paine
. Die Autobiographie sollte wohl 100 000 Wörter nicht überschreiten? Wenn sie anwächst und sehr interessant ist, könnte sie sich auch auf 120 000 belaufen?
Mr. Clemens
. Ganz allgemein würde ich sie auf 80 000 Wörter anlegen, mit 20 000 Spielraum.
Es ist meine Absicht, diese autobiographischen Notizen auf 600 000 Wörter zu erweitern, vielleicht auch auf mehr. Aber das wird lange brauchen – sehr lange.
Mr. Paine
. Die Notizen, die wir hier anfertigen, werden Ihnen beim Abfassen der Autobiographie von größtem Nutzen sein.
Mr. Clemens
. Ich stelle mir das so vor: dass ich eine Autobiographie schreibe. Wenn diese fertig ist – oder auch bevor sie fertig ist, spätestens aber nachdem sie fertig ist –, nehmen Sie das Manuskript, und wir einigen uns darauf, wie umfangreich die
Biographie
werden soll, 80 000 oder 100 000 Wörter, so können wir’s hinkriegen. Doch das ist kein Ferienausflug – es ist eine lange Reise. Also, ich stelle mir vor, dass ich die Autobiographie schreibe, dass das Manuskript mir gehört und ich dafür bezahle und dass schließlich, zum richtigen Zeitpunkt, nun, dann fangen Sie an, mit
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