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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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besteht, aber jeder scheint zu glauben, dass dort ein riesiger Aufruhr droht.
    Das ist die Speisekarte von heute. Das sind die Dinge, die sich der Aufmerksamkeit der Welt heute aufdrängen. Anscheinend sind sie groß genug, um für kleinere Angelegenheiten keinen Platz zu lassen, und doch
kommt der
Morris-Zwischenfall zur Sprache und verdrängt alles andere
. Der Morris-Zwischenfall versetzt den Kongress in Aufregung, und seit mehreren Tagen hält er die Phantasie der amerikanischen Nation auf Trab und setzt jede Zunge mit aufgeregtem Gerede in Brand. Diese Autobiographie wird das Licht der Öffentlichkeit erst nach meinem Tod erblicken. Ich weiß nicht, wann das sein wird, und verspüre auch kein sonderliches Interesse daran. Es mag noch einige Jahre hin sein, aber wenn es nicht in den nächsten drei Monaten geschieht, bin ich überzeugt, dass die Nation, wenn sie in meiner Autobiographie auf den Morris-Zwischenfall stößt, versuchen wird, sich zu erinnern, worum es sich dabei handelte, aber ohne Erfolg. Dieser Zwischenfall, der heute so groß ist, wird in drei oder vier Monaten so klein sein, dass er seinen Platz neben der gescheiterten russischen Revolution und den anderen großen Angelegenheiten eingenommen haben wird, und niemand wird die eine von der anderen anhand der Größe unterscheiden können.
    Dies ist der Morris-Zwischenfall. Eine gewisse Mrs. Morris, eine Dame von Bildung, Finesse und Rang, schaute im Weißen Haus vorbei und wünschte Präsident Roosevelt auf einen Augenblick zu sprechen. Mr. Barnes, einer seiner Privatsekretäre, weigerte sich, ihre Visitenkarte weiterzureichen, und sagte, sie könne den Präsidenten nicht sprechen, er sei beschäftigt. Sie erwiderte, sie werde warten. Barnes wollte wissen, was ihr Anliegen sei, und sie antwortete, ihr Mann sei vor einiger Zeit aus dem öffentlichen Dienstentlassen worden und sie wolle, dass der Präsident sich seines Falles annehme. Als Barnes herausfand, dass es sich um einen militärischen Fall handelte, schlug er ihr vor, den Kriegsminister aufzusuchen. Sie sagte, im Kriegsministerium sei sie bereits gewesen, habe jedoch keinen Zutritt zum Minister erhalten – obwohl sie kein Mittel unversucht gelassen habe, sei sie gescheitert. Nun sei ihr von der Gattin eines Kabinettsmitglieds geraten worden, eine kurze Unterredung mit dem Präsidenten zu erbitten.
    Ohne auf die zahlreichen Details eingehen zu wollen, das Ergebnis war, dass Barnes nach wie vor darauf beharrte, dass sie den Präsidenten nicht sprechen könne und er sie unter den gegebenen Umständen bitten müsse zu gehen. Sie war gefasst, bestand jedoch nach wie vor darauf, zu bleiben, bis sie den Präsidenten sprechen könne. Dann ereignete sich der »Morris-Zwischenfall«. Auf ein Zeichen von Barnes stürzten zwei wachhabende Polizisten herbei, ergriffen die Dame und begannen sie aus dem Zimmer zu schleifen. Sie bekam es mit der Angst zu tun und schrie. Barnes sagt, sie habe wiederholt geschrien, und zwar auf eine Weise, die »das ganze Weiße Haus aufgestört« habe – obgleich niemand herbeikam, um nachzuschauen, was vor sich ging. Dies mag den Eindruck erwecken, als handle es sich um etwas, was am Tag sechs- oder siebenmal vorkommt, da es keine Bestürzung auslöste. Aber dem war nicht so. Barnes ist wahrscheinlich lange genug Privatsekretär gewesen, um seine Phantasie spielen zu lassen, und das erklärt den größten Teil des Geschreis – obwohl die Dame, wie sie einräumt,
etwas
davon selbst besorgte. Die Frau wurde aus dem Weißen Haus geschleift. Sie sagt, dass ihre Kleider, als man sie die Straße entlangschleifte, mit Schlamm beschmutzt und ihr sogar in Fetzen vom Rücken gerissen wurden. Ein Neger packte sie bei den Knöcheln und enthob sie so der Berührung mit dem Erdboden. Er trug sie an den Knöcheln, und die beiden Polizisten trugen sie am anderen Ende, und so schafften sie sie an einen Ort – augenscheinlich eine Art Polizeiwache, zwei Häuserblocks entfernt –, und auf dem Weg verlor sie Portemonnaie und Schlüssel und dies und das, und ehrliche Leute hoben es auf und brachten es ihr. Barnes erstattete gegen sie Anzeige wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit. Anscheinend betrachtete der Polizeikommissar dies als einen schwerwiegenden Vorwurf, und da er es mit einem solchenvermutlich noch nie zu tun gehabt hatte und nicht recht wusste, wie er damit umgehen sollte, ließ er nicht zu, dass sie zu ihren Freunden zurückgebracht wurde, ehe sie nicht fünf Dollar als

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