Meine geheime Autobiographie - Textedition
wenn es nicht derselbe Vorstand war, den man zu Anfang hatte, so lief es doch auf dasselbe hinaus, denn er muss von Zeit zu Zeit aus demselben Irrenhaus gewählt worden sein, aus dem schon der ursprüngliche Vorstand bestückt worden war.
Bei dieser Gelegenheit war Brander Matthews Vorstandsvorsitzender, und er eröffnete das Programm mit einer ungezwungenen, angenehmen und gelungenen Rede. Brander ist stets vorbereitet und kompetent, wenn er eine Rede hält. Dann rief er Gilder auf, der mit leeren Händen gekommen war und wahrscheinlich erwartet hatte, sich aus Branders Reservoir bedienen zu können, doch stattdessen sah er sich enttäuscht. Er mühte sich ab und setzte sich zwar nicht ganz geschlagen, aber doch ziemlich angeschlagen wieder hin. Als Nächster war Frank Millet (Maler) an der Reihe. Er kämpfte sich durch seine Ausführungen und bewies zweierlei – zum einen, dass er sich zwar vorbereitet, die Einzelheiten seiner Vorbereitungen allerdings nicht mehr parat hatte, und zum anderen, dass sein Redetext dürftig war. In seiner Rede war der wichtigste Hinweis auf überhaupt irgendeine Vorbereitung, dass er versuchte, zwei gehörige Portionen Lyrik – gute Lyrik – vorzutragen,jedoch das Selbstvertrauen verlor und durch schlechten Vortrag aus guter Lyrik schlechte machte. Auch die Bildhauerei sollte vertreten sein, und Saint-Gaudens hatte eine Rede zugesagt, war jedoch im letzten Augenblick verhindert, und so musste ein völlig unvorbereiteter Mann aufstehen und an seiner Stelle eine Rede halten. In seinen Ausführungen brachte er nichts Originelles oder Aufwühlendes zustande, ja, sie waren so schwankend und zögerlich und gänzlich abgedroschen, dass er auf etwas richtig Neues und Frisches zu verfallen schien, als er mit der Bemerkung endete, er habe nicht damit gerechnet, zu einer Rede aufgefordert zu werden! Ich hätte seine Rede für ihn beenden können, so oft habe ich das schon gehört.
Diese Leute – das heißt Millet und Gilder – waren übel dran, denn die ganze Zeit, während Matthews sprach,
dachten
sie und versuchten, die paar Vorbereitungen, die sie getroffen hatten, wachzuhalten, und das hinderte sie daran, in dem, was Brander sagte, etwas Neues und Frisches zu entdecken. Auf die gleiche Weise dachte Millet, während Gilder sprach, noch immer über seine Vorbereitung nach, und so übersah er mögliche Anregungen, die Gilder ihm zur Verfügung stellte. Da ich Matthews jedoch gebeten hatte, mich als Letzten auf die Rednerliste zu setzen, kamen mir alle Vorteile zugute, die der Anlass bot. Denn ich war ohne Text gekommen, und die Jungs stellten mir reichlich Text zur Verfügung, da ich innerlich nicht damit beschäftigt war, mich auf meine Vorbereitungen zu besinnen – sie existierten nicht. Bis zu einem gewissen Grade verdarb ich Brander die Rede, denn sie war eigens dazu vorbereitet worden, mich, den Gast des Abends, einzuführen – und er musste eine Kehrtwendung machen und aus der Klemme herausfinden, was er sehr anmutig tat, indem er erklärte, er habe verkehrt herum und am falschen Ende angefangen, da ich darum gebeten hätte, als letzter Redner auf die Liste gesetzt zu werden. Nun hatte ich ausreichend Zeit, denn Gilder hatte mich mit Text versehen; Brander hatte mich mit Text versehen; Millet hatte mich mit Text versehen. Diese Texte waren frisch, heiß aus dem Ofen, und lösten dieselbe eifrige Bereitschaft aus, sie zu ergreifen und draufloszureden, wie sie es bei einer gewöhnlichen Unterhaltung an einem Tisch in einer Bierstube getan hätten.
Nun weiß ich, wie Bankettreden aussehen sollten, denn ich habe über dieSache nachgedacht. Das ist mein Plan. Wenn es sich lediglich um ein Gesellschaftsbankett zur Unterhaltung handelt – wie das, dem ich am 27. in Washington beiwohnen soll und wo die Gesellschaft aus Mitgliedern des Gridiron Club besteht (ich glaube, ausschließlich Zeitungskorrespondenten), als Gäste der Präsident und der Vizepräsident der Vereinigten Staaten und noch zwei andere –, so ist dies gewiss ein Anlass, bei dem der Redner das Privileg hat, über jedes Thema zu sprechen außer über Politik und Theologie, und selbst wenn er gebeten wird, über einen Stargast zu sprechen, braucht er diesem selbst keine Beachtung zu schenken, sondern kann über alles Mögliche reden. Nun denn, die Idee ist folgende – die Zeitung des betreffenden Tages oder die Zeitung des betreffenden Abends zu nehmen und die Schlagzeilen der Kurzmeldungen zu überfliegen – sehen Sie,
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