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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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bittet, sich nennen zu dürfen
    sehr herzlich die Ihre
    Laura K. Hudson
     
    Heute Morgen diktierte ich meiner Sekretärin Miss Lyon die folgende Antwort:
     
    Sehr geehrte Mrs. Hudson,
    ich stehe für immer in Ihrer Schuld, weil Sie mir diesen sonderbaren Abschnitt meines Lebens in Erinnerung gerufen haben. In den ersten ein oder zwei Jahren danach konnte ich es nicht ertragen, auch nur daran zu denken. Mein Schmerz und meine Schande waren so groß und mein Gefühl, mich wie ein Schwachsinniger benommen zu haben, so unumstößlich, eingewurzelt und unentrinnbar, dass ich den Vorfall ganz aus meinem Bewusstsein verdrängt habe – und so habe ich all die achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre hindurch in der Überzeugung gelebt, mein damaliger Auftritt sei ungehobelt, abgeschmackt und humorlos gewesen. Ihr Hinweis allerdings, dass Sie und Ihre Familie vor achtundzwanzig Jahren Humor darin gefunden haben, bewog mich, der Sache nachzugehen. So beauftragte ich eine Schreibkraft in Boston, in den Bostoner Zeitungen jener längst vergangenen Zeit nachzuforschen und mir eine Abschrift zuzuschicken.
    Diese traf heute Morgen ein, und falls sie irgendeine Abgeschmacktheit enthält, kann ich sie nicht entdecken. Falls sie nicht auf unschuldige Art wahnsinnig komisch ist, bin ich ein Ahnungsloser. Ich werde dafür sorgen, dass Sie eine Abschrift erhalten.
     
    Vortrag von Samuel L. Clemens (»Mark Twain«)
    Aus einem Bericht über das von den Verlegern des
Atlantic Monthly
zu Ehren des siebzigsten Geburtstags von John Greenleaf Whittier gegebene Dinner im Hotel Brunswick, Boston, 17. Dezember 1877, veröffentlicht im
    BOSTON EVENING TRANSCRIPT,
18. Dezember 1877

    Herr Vorsitzender – dies ist ein Anlass, der besonders dazu angetan ist, angenehme Reminiszenzen an das Völkchen der Literaten auszugraben; darum will ich direkt in die Geschichte hineinspringen. Da ich hier an der Küste des Atlantiks stehe und über gewisse seiner höchsten literarischen Wogen nachsinne, werde ich an etwas erinnert, was mir vor dreizehn Jahren widerfuhr, als es mir eben gelungen war, einen kleinen literarischen Tümpel in Nevada aufzuwühlen, dessen Gischtspritzer nach Kalifornien zu wehen begannen. Ich trat eine Inspektionsreise durch die südlichen Bergwerke Kaliforniens an. Ich war unerfahren und eingebildet und beschloss, mir die Vorzüge meines Pseudonyms zunutze zu machen. Schon bald fand sich eine Gelegenheit dazu. Bei Einbruch der Nacht klopfte ich an der einsamen Blockhütte eines Grubenarbeiters in den Ausläufern der Sierras an. Es schneite gerade. Ein verlebter schwermütiger Mann von fünfzig Jahren, barfuß, öffnete mir. Als er mein Pseudonym hörte, wirkte er noch niedergeschlagener als zuvor. Er ließ mich ein – ziemlich widerstrebend, fand ich –, und nach dem üblichen Teller Bohnen mit Speck, nach schwarzem Kaffee und einem heißen Whiskey rauchte ich eine Pfeife. Bis dahin hatte der bekümmerte Mann keine drei Worte gesprochen. Jetzt machte er den Mund auf und sagte im Tonfall eines Mannes, der heimlich leidet: »Sie sind schon der vierte – ich geh weg von hier.« »Der vierte was?«, fragte ich. »Der vierte Schreiberling, der in vierundzwanzig Stunden hier gewesen ist – ich geh weg von hier.« »Was Sie nicht sagen!«, versetzte ich. »Wer waren denn die anderen?« »Mr. Longfellow, Mr. Emerson und Mr. Oliver Wendell Holmes – zum Henker mit ihnen allen!«
    Sie werden mir gern glauben, dass mein Interesse erwacht war. Ich flehte ihn an – drei heiße Whiskey taten das Übrige –, und schließlich begann der schwermütige Grubenarbeiter. Er sagte:
    »Die sind gestern Abend bei anbrechender Dunkelheit hier angekommen, undnatürlich hab ich sie eingelassen. Sagten, sie wollten nach Yosemite. Es waren abgerissene Kerle, aber das hat nichts zu sagen; jeder, der zu Fuß reist, sieht abgerissen aus. Mr. Emerson war ein schäbiger kleiner Bursche, rothaarig. Mr. Holmes war dick wie ein Ballon, wog bestimmt hundertvierzig Kilo und hatte Doppelkinne bis hinunter zum Bauch. Mr. Longfellow war gebaut wie ein Berufsboxer. Sein Kopf geschoren und borstig, als trage er eine Perücke aus Haarbürsten. Seine Nase saß gerade in seinem Gesicht wie ein Finger, dessen letztes Glied nach oben gerichtet ist. Sie hatten getrunken; das konnte ich sehen. Und was für komisches Zeug sie daherschwatzten! Mr. Holmes besichtigte meine Hütte, fasste mich beim Knopfloch und sagt:
    Durch die tiefen Höhlen des Gedankens
    Hör ich eine Stimme,

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