Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
Vom Netzwerk:
und auf mich bezogen, abermals verwendet, und zwar eines Abends im Haus des Reverend Frank Goodwin in Hartford anlässlich einer Zusammenkunft des Monday Evening Club. Den Monday Evening Club gibt es heute noch. Er wurde vor etwa fünfundvierzig Jahren von dem theologischen Giganten Rev. Dr. Bushnell und einigen seiner Kameraden gegründet, Männern von großem intellektuellem Kaliber und mehr oder minder hohem lokalem oder nationalem Rang. Ich wurde im Herbst 1871 aufgenommen und war von da an aktives Mitglied, bis ich Hartford im Sommer 1891 verließ. Damals war die Zahl der Mitglieder auf achtzehn, vielleicht zwanzig begrenzt. Die Zusammenkünfte begannen um den 1. Oktoberund wurden durch die kalten Monate bis zum 1. Mai alle vierzehn Tage in den Privathäusern der Mitglieder abgehalten. Gewöhnlich waren ein Dutzend Mitglieder anwesend – manchmal auch fünfzehn. Es gab einen Essay und eine Diskussion. Die Essayisten lösten einander die ganze Saison in alphabetischer Reihenfolge ab. Der Essayist konnte sein Thema frei wählen und zwanzig Minuten darüber sprechen, je nach Vorliebe mit Manuskript oder aus dem Stegreif. Daran schloss sich die Diskussion an, und jedes anwesende Mitglied durfte zehn Minuten seine Ansichten äußern. Die Ehefrauen der Mitglieder waren stets zugegen. Das war ihr Vorrecht. Ein weiteres Vorrecht bestand darin, zu schweigen; es war ihnen nicht erlaubt, irgendein Licht auf die Diskussion zu werfen. Nach der Diskussion gab es ein kleines Abendessen, Gespräche und Zigarren. Das Abendessen begann pünktlich um zehn Uhr, und um Mitternacht brachen die Gäste auf und verschwanden. So der Ablauf, mit einer Ausnahme. In meiner Geburtstagsrede kürzlich bemerkte ich, dass ich mir stets billige Zigarren gekauft habe, und das stimmt auch. Ich habe mir nie teure gekauft, und immer wenn ich zu einem reichen Mann zum Abendessen gehe, habe ich zum Schutz gegen seine teuren Zigarren heimlich billige bei mir. In meinem Haus gibt es genügend teure Havanna-Zigarren, um einen beträchtlichen Zigarrenhandel zu betreiben, doch keine einzige habe ich selbst gekauft – ich bezweifle sogar, dass ich jemals eine davon geraucht habe. Es sind Weihnachtsgeschenke wohlhabender, aber unkundiger Freunde, die lange Jahre zurückreichen. Neulich fand ich zwei Handvoll von J. Pierpont Morgans Zigarren, die mir vor drei Jahren sein spezieller Freund, der inzwischen verstorbene William E. Dodge, geschenkt hatte, als ich eines Abends bei ihm zum Abendessen eingeladen war. Mr. Dodge rauchte nicht, und so nahm er an, es seien vorzügliche Zigarren, da sie eigens für Mr. Morgan in Havanna aus ganz bestimmtem Tabak gefertigt waren und $ 1,66 das Stück kosteten. Wann immer ich eine Zigarre kaufe, die sechs Cent kostet, werde ich argwöhnisch. Wenn sie viereinviertel oder fünf Cent kostet, rauche ich sie mit Zuversicht. Ich nahm diese kostbaren Zigarren mit nach Hause, nachdem ich eine in Mr. Dodges Haus geraucht hatte, um zu demonstrieren, dass ich keine Feindseligkeit gegen sie hegte, und seitdem liegen sie dort. Sie locken michnicht. Ich warte darauf, dass jemand vorbeischaut, dessen Mangel an Bildung es ihm ermöglicht, sie zu rauchen und zu genießen.
    Nun, wie gesagt, an diesem Clubabend kam George, unser farbiger Butler, zu mir, als das Abendessen fast zu Ende war, und ich bemerkte, dass er blass aussah. Normalerweise war seine Gesichtsfarbe ein klares Schwarz und sehr ansehnlich, jetzt aber hatte sie sich zu einem alten Bernsteingelb verändert. Er sagte:
    »Mr. Clemens, was sollen wir tun? Bis auf diese alten langen, dünnen Wheelings ist keine Zigarre im Haus. Außer Ihnen raucht die keiner. Die töten ja aus dreißig Meter Entfernung. Um zu telefonieren, ist’s zu spät – aus der Stadt kriegen wir keine Zigarren mehr –, was können wir tun? Ist’s nicht das Beste, nichts zu sagen und so zu tun, als hätten wir nicht daran gedacht?«
    »Nein«, sagte ich, »das wäre nicht ehrlich. Hol die langen, dünnen.« Was er tat.
    Den »langen, dünnen« war ich ein paar Tage oder eine Woche zuvor begegnet. Seit Jahren hatte ich keine »langen, dünnen« mehr gesehen. Als ich Ende der Fünfziger ein junger Lotse auf dem Mississippi war, galt ihnen meine große Vorliebe, denn nicht nur waren sie – in meinen Augen – tadellos, sondern man konnte einen ganzen Korb voll für einen Cent bekommen – oder für einen Dime, Cent benutzte man damals noch nicht. Als ich sie in Hartford annonciert sah, bestellte ich sofort

Weitere Kostenlose Bücher