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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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tausend Stück. Sie wurden mir in ramponierten und anrüchig aussehenden alten quadratischen Pappkartons zugeschickt, zweihundert pro Karton. George brachte einen Karton, der von allen Seiten eingedrückt war und denkbar schlecht aussah, und begann die Zigarren herumzureichen. Bis zu diesem Augenblick war die Unterhaltung außerordentlich lebhaft gewesen – jetzt aber breitete sich Frost über die Gesellschaft aus. Allerdings nicht mit einem Mal, vielmehr fiel der Frost auf jeden Mann in dem Moment, als er eine Zigarre nahm und sie in die Luft hielt – und da brach sein Satz in der Mitte ab. So ging es einmal um den ganzen Tisch herum, bis George sein Verbrechen durchgeführt hatte und das ganze Zimmer in dichtes feierliches Schweigen gehüllt war.
    Jetzt begannen die Männer die Zigarren anzuzünden. Rev. Dr. Parker warder Erste. Er nahm drei, vier heroische Züge – dann gab er auf. Er erhob sich mit der Bemerkung, er müsse ans Krankenbett eines im Sterben liegenden Gemeindemitglieds, was, wie ich wusste, eine Lüge war, denn wenn es der Wahrheit entsprochen hätte, wäre er schon früher aufgebrochen. Er ging hinaus. Als Nächster kam Rev. Dr. Burton an die Reihe. Er nahm nur einen Zug und folgte Parker. Er suchte einen Vorwand, und am Klang seiner Stimme merkte man, dass er von seinem eigenen Vorwand nicht viel hielt und sich über Parker ärgerte, weil dieser ihm mit einem sterbenden Klienten zuvorgekommen war. Es folgte Rev. Mr. Twichell mit einer guten, zünftigen Ausrede – an der war nichts dran, und er erwartete auch gar nicht, dass jemand etwas daran fand, aber bis zum heutigen Tag ist Twichell mehr oder weniger aufrichtig gewesen, und es kostete ihn nichts, zu sagen, er müsse jetzt gehen, wenn er den Mitternachtszug nach Boston noch erreichen wolle. Boston war der erstbeste Ort, der ihm in den Sinn gekommen war – er hätte auch Jerusalem gesagt, wenn es ihm eingefallen wäre.
    Als sie damit begannen, Vorwände anzubringen, war es erst Viertel vor elf. Um zehn vor elf hatten alle das Haus verlassen, zweifellos beteten sie darum, dass man ihnen den Vorwand in Anbetracht der Umstände nachsehen möge. Als außer George und mir niemand mehr übrig war, hatte ich gute Laune – ich verspürte keinerlei Gewissensbisse, keinerlei Reue. George dagegen war sprachlos, denn Ehre und Ansehen der Familie stellte er höher als die seiner eigenen Person, und er war beschämt, dass sie jetzt besudelt waren. Ich sagte ihm, er solle zu Bett gehen und versuchen, die Sache auszuschlafen. Dann ging ich selbst zu Bett. Als George morgens beim Frühstück von Mrs. Clemens eine Tasse Kaffee entgegennahm, sah ich, wie sie in seiner Hand zitterte. Dies war mir ein Zeichen, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Er brachte mir die Tasse und fragte eindrücklich:
    »Mr. Clemens, wie weit ist es von der Haustür zum oberen Tor?«
    Ich antwortete: »Hundertfünfundzwanzig Schritte.«
    Er sagte: »Mr. Clemens, Sie können an der Haustür beginnen und gerade aufs obere Tor zugehen und bei jedem Schritt auf eine von diesen Zigarren treten.«
    Nun, nach diesem umständlichen schrittweisen Ausflug bin ich wieder beider Zusammenkunft des Clubs im Haus von Reverend Frank Goodwin angelangt, von der ich vorhin gesprochen habe und wo in meiner Gegenwart und auf mich bezogen dasselbe Wort fiel, das, wie erwähnt, meine Mutter fast vierzig Jahre früher verwendet hatte. Das Thema, das zur Diskussion stand, lautete Träume. Das Gespräch ging auf die übliche gelassene Art von Mund zu Mund. Der inzwischen verstorbene Charles Dudley Warner äußerte seine Ansichten auf dieselbe ruhige und angenehm flüssige Weise, die er sich in jungen Mannesjahren zugelegt hatte, als er den Anwaltsberuf erlernte. Er sprach stets angenehm, stets ruhig, stets gewählt, nie erregt, nie aggressiv, stets freundlich, stets sanft und stets mit einem geistreichen, spielerischen, unauffälligen Hauch von Humor, der in seinem Vortrag auftauchte und verschwand wie das Farbenspiel in einem Opal. Meiner Meinung nach hatte das, was er sagte, nie viel Substanz, nie viel Saft; enthielt nie etwas wirklich Wesentliches, was man davontragen und worüber man nachdenken konnte, und doch war es immer ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Seine Kunst war immer elegant und charmant. Dann kam der inzwischen verstorbene Colonel Greene, der im Bürgerkrieg ein dekorierter Soldat gewesen war und zu der Zeit, von der ich spreche, eine gehobene Stellung in der Connecticut Mutual innehatte und

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