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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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abgedroschenste, banalste Englisch, ohne jemals irgendeinen Gedanken mitzuteilen. Aber
er
trat seine zehn Minuten nie jemandem ab. Er nutzte sie bis zur letzten Sekunde. Danach trat immer eine kleine Pause ein – musste es auch, damit die Menge sich erholen konnte, bevor der Nächste begann. Wenn sich Perkins in seinem Vortrag ganz und gar verirrt hatte und nicht mehr wusste, wo er gerade war in seiner dümmlichen Philosophiererei, klammerte er sich an eine Anekdote, so wie sich ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammert. Falls ein Ertrinkender das jemals tut – was ich bezweifle. Dann erzählte er von irgendeinem Erlebnis, womöglich in dem Glauben, es habe mit dem anstehenden Thema zu tun. Gemeinhin hatte es das nicht – und diesmal erzählte er von einer langen, beschwerlichen und ermüdenden Jagd an einem heißen Sommertag in den Wäldern von Maine, von einem wilden Tier, das er töten wollte, und wie er diesem Geschöpf schließlich eifrig über einen breiten Bach nachsetzte, auf dem Eis ausglitt, hinschlug und sich am Bein verletzte – woraufhin Schweigen und Verwirrung herrschten. Perkins merkte, dass etwas nicht stimmte, und dann fiel ihm auf, dass es Nonsens war, Tieren im Sommer übers Eis nachzusetzen, also wechselte er zur Theologie über. Das tat er immer. Er war fanatischer Christ und Mitglied der Kirche Joe Twichells. Joe Twichell konnte die unmöglichsten Christen um sich scharen, diesich je in einer Gemeinde versammelt haben; und für gewöhnlich hatte er neuer Diakone wegen, die das Geschäft nicht verstanden, seine Kirche nicht im Griff – die letzten Diakone hatten sich ihren Vorgängern in der Strafanstalt unten in Wethersfield zugesellt. Perkins endete immer mit einigen dezidiert frommen Ausführungen – und das taten sie eigentlich alle. Nehmen Sie den ganzen Haufen – den Haufen, der fast immer anwesend war –, und die Bemerkung trifft auf alle zu. Da war J. Hammond Trumbull, der gelehrteste Mann in den Vereinigten Staaten. Er wusste alles – alles, was je in der Welt passiert war, in allen Einzelheiten, eine Menge darüber, was passieren würde, und eine Menge darüber, was unmöglich je passieren konnte. Er war immer bestens unterrichtet, und doch wüsste man nicht, wenn ein Preis für den Mann, der die uninteressanteste zehnminütige Rede halten konnte, ausgelobt würde, ob man auf ihn oder auf Perkins setzen sollte –
er
endete mit einer Frömmelei. Henry C. Robinson – Gouverneur Henry C. Robinson –, ein brillanter Mann, ein höchst geschliffener, wirkungsvoller und eloquenter Redner, ein lockerer Redner, ein Redner, der beim Sprechen keine Klippen umschiffen musste – er endete stets mit einer Frömmelei. A. C. Dunham, ein Mann, der in seiner Sparte – das heißt in seiner Geschäftssparte – wirklich bedeutend war, ein bedeutender Fabrikant, ein risikofreudiger Mann, ein Kapitalist, ein höchst kompetenter und faszinierender Redner, ein Mann, der den Mund nie aufmachte, ohne dass ein Strom praktischer Perlen herausgequollen wäre –
er
endete stets mit einer Frömmelei –
    13. Januar 1906
    Der frommen Schlüsse bedienten sich auch Franklin und Johnson und möglicherweise der Rest des Clubs – ja höchstwahrscheinlich der Rest des Clubs. Doch erinnere ich mich, dass bei Franklin und Johnson dieser Schluss Gewohnheit war. Franklin war ein schroffer alter Soldat. Er war Absolvent der Militärakademie West Point und hatte meines Wissens im Mexikanischen Krieg gedient. Im Bürgerkrieg befehligte er eine der Armeen McClellans, als dieser Oberbefehlshaber war. Er war ein idealer Soldat, einfältig, gütig,freundlich, warmherzig; mit festgefügten Meinungen, Vorlieben und Vorurteilen. In politischen, religiösen und militärischen Angelegenheiten glaubte er alles, was man ihn zu glauben gelehrt hatte; er war gründlich unterwiesen in der Kriegswissenschaft – das sagte ich bereits, als ich ihn als Absolventen der Militärakademie West Point vorstellte. Auf diesem Fachgebiet wusste er alles Wissenswerte und war mit Hilfe dieses Wissens in der Lage, vernünftig zu urteilen, doch wenn er andere Themen erörterte, konnte er mit seiner Urteilskraft nicht gerade glänzen. Johnson lehrte am Trinity College und war mühelos das geistreichste Mitglied des Clubs. Doch sein schönes Licht leuchtete nicht etwa in der Öffentlichkeit, sondern in der Abgeschiedenheit des Clubs, und außerhalb von Hartford waren seine Qualitäten unbekannt.
    Ich hatte schon lange unter diesen

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