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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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›Der vierte Schreiberling, der in vierundzwanzig Stunden hier gewesen ist. Ich geh weg von hier.‹›Was Sie nicht sagen!‹, versetzte ich. ›Wer waren denn die anderen?‹ ›Mr. Longfellow, Mr. Emerson, Mr. Oliver Wendell Holmes, zum Henker mit ihnen allen!‹« –
    Die
Aufmerksamkeit
des Saals war mir noch immer sicher, doch der Ausdruck von Interesse in den Gesichtern verwandelte sich in eine Art schwarzen Frost. Ich überlegte, was hier gerade schieflief. Ich wusste es nicht. Ich redete weiter, allerdings nur noch mit Mühe – ich schleppte mich fort und gelangte zu der fürchterlichen Beschreibung des falschen Emerson, des falschen Holmes, des falschen Longfellow durch den Grubenarbeiter, immer in der Hoffnung – einer allmählich schwindenden Hoffnung –, jemand würde lachen oder wenigstens lächeln, doch niemand tat es. Ich war zu unerfahren, um aufzugeben und mich hinzusetzen, das Reden in der Öffentlichkeit war noch zu neu für mich, und so fuhr ich mit meinem schrecklichen Vortrag fort und brachte ihn zu Ende, und das vor einer Ansammlung von Menschen, die vor Entsetzen wie versteinert dasaßen. Es war derselbe Gesichtsausdruck, den sie aufgesetzt hätten, wenn ich meine Bemerkungen über Gottvater und den Rest der Dreifaltigkeit gemacht hätte; der gelähmte Zustand und die totenbleichen Mienen dieser Leute lassen sich nicht mit milderen Worten beschreiben.
    Als ich mich setzte, hatte mein Herz längst zu schlagen aufgehört. Nie wieder werde ich so tot sein wie damals. Nie wieder werde ich so elend sein wie damals. Im Moment spreche ich als einer, der nicht weiß, wie sich die Dinge in der nächsten Welt gestalten mögen, doch in dieser werde ich nie wieder so unglücklich sein wie damals. Howells, der in meiner Nähe saß, versuchte, ein tröstendes Wort zu finden, bekam jedoch nur ein Röcheln heraus. Es hatte keinen Sinn – er begriff das ganze Ausmaß der Katastrophe. Er hatte gute Absichten, aber seine Worte gefroren, noch bevor sie ihm über die Lippen kamen. Es war eine Atmosphäre, in der alles gefror. Wenn Benvenuto Cellinis Salamander im Saal gewesen wäre, hätte er nicht überlebt und wäre nicht in Cellinis Autobiographie aufgenommen worden. Es trat eine fürchterliche Pause ein. Es herrschte ein grauenvolles Schweigen, ein hoffnungsloses Schweigen. Dann musste sich der Nächste auf der Liste erheben – es ließ sich nicht ändern. Das war Bishop. Bishop, inzwischenvergessen, war wie aus dem Nichts aufgetaucht – mit einem sehr annehmbaren Roman, den das
Atlantic Monthly
veröffentlicht hatte, eine Zeitschrift, die jeden Roman respektabel und jeden Autor bemerkenswert machen würde. In diesem Falle wurde der Roman selbst als respektabel angesehen, auch ohne äußeres Zutun. Bishop stand hoch in der Gunst der Öffentlichkeit und war Gegenstand größten Interesses, infolgedessen lag eine Art nationaler Erwartung in der Luft; man könnte sagen, von Maine bis Texas und von Alaska bis Florida standen unsere amerikanischen Millionen mit angehaltenem Atem und geöffneten Lippen da, die Hände zum Klatschen bereit, sollte sich Bishop bei dieser Gelegenheit erheben und zum ersten Mal in seinem Leben in der Öffentlichkeit sprechen. Unter diesen abträglichen Umständen erhob er sich, um die Sache »wiedergutzumachen«, wie der Pöbel sagt. Ich hatte früher schon mehrere Male gesprochen, deshalb konnte ich meine Bahn fortsetzen, ohne zu sterben, was ich hätte tun sollen – Bishop dagegen hatte keine Erfahrung. Er stand da und sah sich diesen grausigen Gottheiten gegenüber – diesen anderen Leuten, diesen Fremden –, sah sich zum ersten Mal in seinem Leben Menschen aus Fleisch und Blut gegenüber und musste eine Rede halten. Ohne Zweifel war sie gut in seinem Gedächtnis verankert, ohne Zweifel frisch und brauchbar gewesen, bis man mich gehört hatte. Vermutlich verkümmerte sie danach unter dem erstickenden Sargtuch jenes düsteren Schweigens und verschwand aus seinem Kopf wie die letzten Schleier, die sich vom Rand eines Nebelfelds lösen, und gleich darauf gibt es keinen Nebel mehr. Er redete nicht weiter – er hielt sich nicht lange. Es dauerte nur wenige Sätze, bis er zu zögern, zu stocken, den Halt zu verlieren und zu wanken und schwanken begann, und schließlich sackte er zu einem schlaffen, matschigen Häuflein zusammen.
    Nun, wahrscheinlich war das Programm für den Abend zu nicht mehr als einem Drittel absolviert, doch an dieser Stelle endete es. Niemand stand auf. Der

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