Meine geheime Autobiographie - Textedition
unerträglichen und unentschuldbaren Ausdünstungen unangebrachter Frömmigkeit gelitten und seit Jahren Protest dagegen einlegen wollen, gegen diesen Impuls jedoch angekämpft und ihn bis dahin noch jedes Mal bezwingen können. Diesmal aber war Perkins zu viel für mich. Er war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Inhalt seines irrlichternden Gefasels – falls es überhaupt einen gab – lief darauf hinaus, dass an Träumen nichts dran sei. Träume resultierten lediglich aus Verdauungsstörungen – sie böten keinerlei Einsichten – seien durch und durch phantastisch, ohne Anfang, ohne logische Folgerichtigkeit und ohne klares Ende. Außer den Dummen oder Unwissenden messe ihnen in unseren Tagen niemand irgendeine Bedeutung bei. Und dann fügte er höflich und liebenswürdig hinzu,
früher
seien Träume von größter Wichtigkeit gewesen, ihnen sei die glorreiche Ehre zugefallen, vom Allmächtigen als ein Mittel eingesetzt zu werden, um denen, die Er liebte oder hasste, Anliegen, Warnungen, Befehle zu überbringen – diese Träume seien in der Heiligen Schrift niedergeschrieben; kein gescheiter Mensch bestreite ihre Glaubwürdigkeit, ihre Aussagekraft, ihre Wahrheit.
Ich folgte auf Perkins, und mit Befriedigung stelle ich fest, dass ich, so gereizt ich auch war, nicht ein harsches Wort wählte, sondern lediglich, wenn auch ohne Wärme, bemerkte, dass man diese verdammt leidigen Gebetsstunden lieber in die Dachkammer einer Kirche verlegen sollte, wo sie hingehörten. Es ist
Jahrhunderte
her, dass ich das sagte. Es liegt weit, weit,weit zurück, so viele, viele Jahre ist es her – und doch habe ich es seitdem bereut, denn von da an bis zur letzten Zusammenkunft, an der ich teilnahm (das dürfte Anfang Frühjahr 1891 gewesen sein), wurde der fromme Schluss nie wieder eingesetzt. Nein, vielleicht gehe ich zu weit; vielleicht lege ich zu viel Wert auf meine Reue. Wenn ich von Reue gesprochen habe, dann habe ich möglicherweise nur das getan, was Leute so oft unbewusst tun, ich habe versucht, mich in ein günstiges Licht zu rücken, nachdem ich ein Bekenntnis abgelegt hatte, welches genau das mehr oder weniger schwierig macht. Nein, ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass ich die Sache nie bereut habe.
Jeder konnte sehen, dass dem frommen Schluss keinerlei Bedeutung zukam, weil er ganz offensichtlich eine Routineangelegenheit war. Der Club war von einem bedeutenden Geistlichen
gegründet
worden; es zählten sich stets mehr Geistliche als gute Menschen zu den Mitgliedern. Geistliche können das Fachsimpeln nicht seinlassen, ohne in Verdacht zu geraten. Es war ganz natürlich, dass die ursprünglichen Mitglieder diese Art von Schluss für ihre Reden wählten. Ebenso natürlich war es, dass die übrigen Mitglieder, da Kirchenmitglieder, den Brauch übernahmen, ihn sich zur Gewohnheit machten und fortführten, ohne je zu merken, dass sie mit dem Herzen gar nicht dabei waren und lediglich ein Lippenbekenntnis ablegten, das für sie selbst genauso wertlos war wie für alle anderen.
Ich weiß nicht mehr, welche Ansichten über Träume ich damals vertrat. Ich weiß nicht mehr, was für Auffassungen von Träumen ich damals hatte, kann mich aber noch daran erinnern, dass ich, um einen Teil meiner Rede zu erläutern, einen Traum erzählte, und auch noch daran, dass, als ich geendet hatte, Rev. Dr. Burton jene ungläubige Bemerkung machte, welche das Wort enthielt, von dem ich nun schon sechzehn- oder siebzehnmal gesagt habe, dass meine Mutter es vierzig oder fünfzig Jahre zuvor in einem ähnlichen Zusammenhang verwendet hatte. Vermutlich war ich damit beschäftigt, die Leute glauben zu machen, dass hin und wieder, sei es durch Zufall oder auf sonstige Weise, im Geist des Träumers ein Traum erscheint, der prophetisch ist. Mein unvergesslicher Traum passierte Anfang Mai 1858. Es war ein bemerkenswerter Traum, und ich hatte ihn mehr als fünfzehn Jahre lang jedesJahr mehrere Male erzählt – und jetzt, hier im Club, erzählte ich ihn abermals.
1858 war ich Rudergänger an Bord der
Pennsylvania
, des schnellen und beliebten Paketboots zwischen New Orleans und St. Louis unter Kapitän Klinefelter. Von meinem Eigentümer Mr. Horace E. Bixby war ich an Mr. Brown, einen der Lotsen der
Pennsylvania,
ausgeliehen worden und hatte, glaube ich, etwa achtzehn Monate für Brown gesteuert. Dann, Anfang Mai 1858, kam eine tragische Fahrt – die letzte Fahrt dieses berühmten flinken Schaufelraddampfers. In einem
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