Meine geheime Autobiographie - Textedition
darauf abzielte, ihn zu überzeugen; und Steve Gillis, mein Sekundant, überbrachte die Forderung und kehrte zurück, um die Antwort abzuwarten. Sie traf nicht ein. Die Jungs waren verzweifelt, ich dagegen bewahrte die Ruhe. Steve überbrachte eine weitere Forderung, schärfer abgefasst als die erste, und wieder warteten wir. Es kam nichts dabei heraus. Allmählich fühlte ich mich ganz sorglos. Allmählich entwickelte ich selbst ein Interesse an den Forderungen. Ich hatte noch nie zuvor dergleichen verspürt; aber mir schien, dass ich mir großes und wertvolles Ansehen erwarb, ohne dass mir Kosten entstünden, und meine Freude darüber wuchs und wuchs, als eine Forderung nach der anderen unbeantwortet blieb, bis ich mir um Mitternacht vorzustellen begann, dass nichts in der Welt wünschenswerter sei als die Gelegenheit, ein Duell auszutragen. So trieb ich Daggett zur Eile; ließ ihn eine Forderung nach der anderen übermitteln. Nun gut, ich überzog: Laird akzeptierte. Ich hätte wissen sollen, dass das geschehen würde – Laird war kein Mann, auf den man sich verlassen konnte.
Die Jungs jubelten über die Maßen. Sie halfen mir dabei, mein Testament aufzusetzen, was mir weiteres Unbehagen verursachte – dabei war mir ohnehin ausreichend unbehaglich zumute. Dann brachten sie mich nach Hause. Ich konnte nicht schlafen – wollte nicht schlafen. Ich musste über vieles nachdenken und hatte nicht einmal vier Stunden Zeit dafür – denn fünf Uhr war die für die Tragödie festgesetzte Stunde, und ab vier musste ich eine Stunde darauf verwenden, mit dem Revolver zu üben und herauszufinden, mit welchem Ende ich auf meinen Kontrahenten zielen musste. Um vier gingen wir zu einer kleinen Schlucht, etwa eine Meile vor der Stadt, und liehen uns ein Scheunentor als Zielscheibe – liehen es uns von einem Mann, der gerade in Kalifornien einen Besuch abstattete –, und wir richteten das Scheunentor ein und stellten in der Mitte eine Zaunlatte auf, die Mr. Laird repräsentieren sollte. Aber die Latte war kein Repräsentant, denn Mr. Laird war länger als eine Latte und dünner. Nichts würde ihn je erledigen außer einem zielgenauen Schuss, und selbst dann würde er die Kugel bestimmt spalten – das denkbar schlechteste Material für Duellzwecke. Ich begann mitder Latte. Ich konnte die Latte nicht treffen; dann versuchte ich es mit dem Scheunentor; aber auch das Scheunentor konnte ich nicht treffen. Niemand war in Gefahr außer irgendwelchen Versprengten an den Flanken der Zielscheibe. Ich war vollkommen entmutigt, und meine Laune besserte sich nicht, als wir gleich darauf in der nächsten kleinen Schlucht Pistolenschüsse hörten. Ich wusste, was das war – es war Lairds Bande, die mit ihm übte. Sie würden meine Schüsse hören, und natürlich würden sie über den Höhenrücken kommen, um meine Bilanz zu prüfen – um zu prüfen, welche Chancen sie gegen mich hatten. Nun, ich hatte keine Bilanz vorzuweisen, und ich wusste, wenn Laird über den Höhenrücken käme und mein Scheunentor sähe, das nicht einen Kratzer aufwies, wäre er genauso kampfbegierig wie ich – oder wie ich es um Mitternacht gewesen war, bevor die verhängnisvolle Annahme der Forderung eintraf.
In diesem Moment flog ein kleiner Vogel, nicht größer als ein Sperling, vorbei und setzte sich auf einen etwa dreißig Meter entfernten Salbeistrauch. Steve riss seinen Revolver heraus und schoss dem Vogel den Kopf ab. Oh, er war ein Meisterschütze – viel besser als ich. Wir liefen los, um den Vogel einzusammeln, und in diesem Augenblick kamen doch tatsächlich Mr. Laird und seine Leute über den Höhenrücken und traten zu uns. Und als Lairds Sekundant den Vogel mit dem abgeschossenen Kopf sah, wich alle Farbe aus seinem Gesicht, und man konnte sehen, dass er höchlichst interessiert war. Er fragte:
»Wer war das?«
Ehe ich antworten konnte, machte Steve den Mund auf und antwortete ganz ruhig und sachlich:
»Clemens.«
Der Sekundant sagte: »Aber das ist ja ausgezeichnet. Wie weit war der Vogel entfernt?«
Steve sagte: »Ach, nicht weit – ungefähr dreißig Meter.«
Der Sekundant fragte: »Aber das ist ja eine erstaunliche Schießkunst. Wie oft trifft er denn so?«
Steve sagte gelangweilt: »Ach, ungefähr vier- von fünfmal.«
Ich wusste, dass der kleine Schlingel log, sagte aber nichts. Der Sekundantsagte: »Aber das ist ja ganz
verblüffende
Schießkunst; ich dachte, er könnte nicht einmal eine Kirche treffen.«
Das war eine ziemlich
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