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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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wäre der Fall erledigt.
    »Wäscht sich Sheriff Bupp nicht selber den Kopf?«, fragte Biswick.
    »Ist nur eine Redewendung«, erklärte ich. »Es geht nicht wirklich ums Waschen.« Ich blätterte um und notierte mir Veraleens Aussprüche. Sie hat wirklich eine Menge origineller Formulierungen auf Lager, genau wie Grandma. Das war aber auch die einzige Gemeinsamkeit, auf die ich kommen konnte.

    »Warum spielen wir nicht für eine Weile das Stillespiel?«, schlug Veraleen vor. »Wir brauchen alle ein bisschen Ruhe und Frieden.« Dann murmelte sie: »So still wie eine Schneeflocke auf einer Feder«, was ich mir ebenfalls notierte.
    Jetzt hörte man nur noch Bugs Schluchzer, die mich alle fünf Sekunden daran erinnerten, warum wir nach El Paso fuhren. Wenige Meilen später fing Bug wieder zu heulen an. Als auch Biswick seine Tränen nicht länger zurückhalten konnte, war die ganze Rückbank ein einziger Trauerchor. Doch mich wird nie jemand weinen sehen. Ausgeschlossen. Bug hat recht. Als schreiendes Baby habe ich meinen gesamten Vorrat an Tränen aufgebraucht. Als ich mir gerade meine Finger in die Ohren stecken wollte, rumpelten wir wieder über ein Schlagloch und wurden kräftig durchgeschüttelt. »Veraleen!«, rief jemand hinter mir, »ich glaub, ich muss kotzen. Jetzt kommt’s!«

    Als wir eine Stunde später am Krankenhaus ankamen, war die Kotze in meinen Haaren bereits getrocknet. Sie war verklumpt und verkrustet und stank nach wie vor. Dieser Gestank dürfte auf der ganzen Welt derselbe sein. Jeder Aborigine in Australien würde ihn sofort erkennen. Als Biswick sich übergeben musste, streckte er seinen Kopf nicht aus dem Fenster, wie er es nur wenige Minuten zuvor getan hatte, sondern beugte sich zu mir nach vorne, sodass ich jetzt rieche wie das Stinktier von Otis Stunkel. Da wir uns gerade mitten in der Prärie befanden, gab es keine Möglichkeit, irgendwo anzuhalten, um sich das Zeug aus den Haaren zu waschen. Allerdings hat mein Notizbuch keinen einzigen Spritzer abbekommen. Das hätte mich wirklich geärgert.
    »Gleich machen wir dich wieder sauber, Schätzchen«, sagte Veraleen, als wir durch die Eingangstür des Krankenhauses
schritten. Hier drinnen herrschte eine unheimliche Stille. Die beiden weiblichen Angestellten hinter dem nformationsschalter waren zunächst die einzigen Leute, die wir zu Gesicht bekamen. »Später bekommst du von mir ein Ingwershampoo mit Lavendelöl«, fuhr sie fort. »Das zieht den Geruch raus. Armer Biswick. Es gibt Schlimmeres, Merilee.« Veraleen erkundigte sich bei den beiden alten Damen nach Mamas Zimmernummer.
    Na, ich weiß nicht. Was sollte denn schlimmer sein, als getrocknete Kotze in den Haaren und auf dem Rücken zu haben? Als wir jedoch den Gang entlangschritten, wusste ich, dass sie recht hatte. Wir sahen alte Leute mit ihren Sauerstoffbehältern über den Gang schlurfen, weinende Angehörige vor den Zimmern, kranke Kinder und überall dieselben besorgten, verwirrten und verzweifelten Blicke.
    Plötzlich wollte ich nur noch zu Mama.
    »So, da wären wir«, sagte Veraleen fröhlich, als sie eine Toilette gefunden hatte. Sie gab mir ein Zeichen, dass ich ihr folgen sollte. Doch ich bewegte mich nicht vom Fleck. Über Bugs gerötetes Gesicht liefen immer noch die Tränen in breiten Streifen.
    »Ich kann nicht mehr warten. Lass uns zu ihr gehen«, sagte ich.
    Veraleen warf mir einen abwartenden Blick zu. »Ich dachte nur, dass du dich vielleicht etwas waschen möchtest, bevor du deine Mama besuchst«, sagte sie.
    »Ist mir egal«, entgegnete ich. Sie nickte und setzte sich wieder in Bewegung. Biswick, Bug und ich folgten ihr.
    »Ist auch gar nicht so schlimm«, sagte Bug, die sich ein wenig gefasst hatte. »Ich hab schon die ganze Nacht mit Kotze in meinen Haaren verbracht. An Heiligabend war ich immer so aufgeregt, dass ich zwei Jahre hintereinander im Schlaf gespuckt habe. Mama meinte, das kommt von den Süßigkeiten,
aber ich bin mir sicher, dass es an Grandmas Weihnachtseintopf liegt, den sie jedes Jahr für mich kocht.«
    Veraleen öffnete die Tür zu Zimmer 211, und wir traten ein. Die Jalousien waren halb heruntergelassen, sodass der Raum im Halbdunkel lag. Der Fernseher an der Wand lief, aber so leise, dass man nur ein schwaches Summen wahrnahm. Es war kalt.
    Ich traute mich nicht, Mama anzusehen. Ich stellte mir vor, dass ihr Gesicht völlig entstellt und ihr Körper von Schläuchen umgeben war.
    Aber dann sagte sie etwas. »Oh, da sind ja meine Lieblinge!

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