Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
spürte ein warmes Prickeln in meinen Fingern. Von jeher hatte ich mich nach der absoluten Einsamkeit gesehnt. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.
»Machen Sie, dass Sie ins Auto kommen, Mister, und seien Sie froh, dass ich Ihren irischen Arsch aus dem Gefängnis geholt habe!«, hörte ich Veraleen knurren.
Jack O’Connor warf sich auf den Vordersitz und knallte die Tür krachend zu. Dann sank er in sich zusammen.
Veraleen stieg ein und ließ den Motor an. Biswick öffnete die Augen.
»Hi, Daddy«, sagte er schläfrig. »Wo bist du gewesen?«
Ich rollte mit den Augen.
»Ich hab dich vermisst!«
»Warum zum Teufel haben Sie ihn mitgebracht?«, fauchte Biswicks Daddy.
»Sie haben keinen Grund, sich zu beklagen!«, zischte Veraleen. »Oder wo wollten Sie Ihren Sohn einquartieren, während Sie im Urlaub waren?«
Jack O’Connor starrte aus dem Fenster.
»Dachte ich mir«, brummte Veraleen, während sie den Motor aufheulen ließ. Dann schossen wir in ihrem glitzernden GTO durch die Dunkelheit, als würde ein Drache seinen feurigen Atem über die Straße speien.
Vierzehntes Kapitel
E s war einmal ein weißer Drache, der inmitten eines gro ßen Sees lebte. Alle fünfzig Jahre verwandelte er sich in einen Vogel, der ein prächtiges goldenes Gefieder hatte. Doch niemand wollte seinen traurigen Gesang hören, weil er von nichts als Hunger und Elend zu zeugen schien. Ich erwachte am nächsten Sonntag zum traurigen Gurren einer Taube und fragte mich, ob mir ihr Lied von der Zukunft künden sollte.
Ich zog die Bettdecke nach oben und lauschte den Geräuschen unseres Hauses. Schritte knirschten auf den Holzdielen im Erdgeschoss. Die Küchentür fiel krachend ins Schloss und zog ein lang gezogenes Zittern nach sich. Das Wasser gluckerte in den Rohren, wenn in der Küche jemand den Hahn aufdrehte. Der Haushahn von Myrtle Dean stieß gelegentlich sein Kikeriki aus, worauf Quincy, der Kettenhund der McKelveys, ein verzweifeltes Gebell von sich gab. Und wenn ich ganz genau hinhörte, konnte ich das Dröhnen der achtzehnrädrigen Trucks auf dem Highway 90 wahrnehmen. Als ich noch klein war, habe ich diese Trucks stets für brüllende Drachen gehalten, die von den Bergen herunterkamen, um mich zu besuchen.
Dann hörte ich das schönste Geräusch von allen, das die Autoreifen erzeugen, wenn sie über den Kies unserer Einfahrt rollen. Ich schwang die Beine aus dem Bett und tappte schläfrig zum Fenster. Doch es war niemand, der kam, sondern jemand, der wegfuhr - Daddy setzte in diesem Moment rückwärts auf
die Straße, um sich erneut auf den Weg zum Krankenhaus zu machen.
Doch immer noch hörte ich gluckernde Rohre und knirschende Türen im Erdgeschoss. Wer mochte das sein? Ich stellte mich auf die Türschwelle und versuchte, mir einzureden, dass Mama dort unten war. Der Geruch nach Gebratenem und Gebackenem stieg mir in die Nase. Ein Frühstück mit Mama hingegen bestand immer nur aus verbranntem Toast und kalten Haferflocken. Ich schlüpfte rasch in meine Sachen.
Dann hörte ich ein gewaltiges Scheppern, das vermuten ließ, dass gerade etwas zu Bruch gegangen war. Ich ging in die Küche und … schloss die Augen, weil ich nicht glauben konnte, was ich da gerade gesehen hatte. Doch als ich sie wieder öffnete, bot sich mir immer noch dasselbe Bild: Grandma und Veraleen einträchtig nebeneinander am Herd. Sie machten einen so harmonischen, friedlichen Eindruck, dass man hätte glauben können, sie seien ein Herz und eine Seele. Veraleen trug ihre Schwesternhaube und eine von Grandmas kleinen Schürzen, tänzelte nun - soweit ihr Leibesumfang dies zuließ - um den Tisch herum und ließ die Sets wie Frisbees auf die Plätze segeln. Grandmas Freundin, Miss Fleeta Bell, saß mit ihrem Sonntagshut am Tisch und umklammerte ihre Handtasche, während ihre Augen nervös zwischen Grandma und Veraleen hin- und herhuschten. Ich wusste, wie sie sich fühlte.
Grandma holte behutsam ein Blech mit Veraleens berühmten Gute-Nacht-Buttermilch-Plätzchen aus dem Ofen. Der fette Weenie wich nicht von ihrer Seite, während die anderen Hunde mit glänzenden Augen unter dem Tisch lagen.
Etwas tropfte auf meinen Kopf. Als ich nach oben blickte, landete ein weiterer Tropfen auf meiner Wange. Ich leckte ihn ab. Er schmeckte nach Pfannkuchenteig. An der Decke war
ein großer heller Fleck zu erkennen. Der nächste Tropfen verfehlte mich, weil ich rechtzeitig ausweichen konnte. Dafür schossen die Hunde unter dem Tisch hervor und leckten ihn
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