Meine gute alte Zeit - Teil I
Vaters bester Freund. Kurz nachdem wir uns in Torquay niedergelassen hatten, set z te Mr B. Vater davon in Kenntnis, dass er heiraten wollte. Eine wu n derbare Frau – so sprach er von ihr – »und es macht mir Angst, Joe« – seine Freunde nan n ten Vater immer Joe – »es macht mir richtig Angst, wie diese Frau mich liebt!«
Kurz darauf kam eine Freundin von Mutter zu Besuch. Sie war ä u ßerst beunruhigt. Sie hatte jemanden in ein Hotel in North Devon begleitet und war dort auf eine groß gewachsene, recht hübsche junge Frau au f merksam geworden, die sich in der Hotelhalle in lautem Ton mit einer Freundin unterhielt.
»Ich habe meinen Fisch an Land gezogen, Dora«, e r klärte sie triu m phierend. »Ich habe ihn so weit, dass er mir aus der Hand frisst.«
Dora beglückwünschte sie, und die beiden Damen u n terhielten sich ungeniert über Eheverträge und, im Z u sammenhang damit, Vermögen s übertragungen. Dann fiel der Name des an Land gezogenen F i sches: Mr B.
Vater und Mutter hielten eine lange Besprechung ab. Was, wenn überhaupt, sollten sie tun? Konnten sie zula s sen, dass der arme B. auf so schändliche Weise dieser geldgierigen Frau ins Netz ging? War es schon zu spät? Würde er ihnen glauben, wenn sie ihm sagten, was sie gehört hätten?
Schließlich kam Vater zu einer Entscheidung. Man würde B. übe r haupt nichts sagen. Er war kein dummer Junge. Er hatte mit offenen Augen seine Wahl getroffen.
Ob Mrs B. ihren Mann wegen seines Geldes heiratete oder nicht, sie wurde ihm eine ausgezeichnete Frau, und sie schi e nen außerordentlich glücklich miteinander zu sein. Sie bekamen drei Kinder, waren praktisch unze r trennlich, und man konnte sich keine harmonischere Ehe vorste l len. Der arme B. starb schließlich an Zungenkrebs und wurde während seiner langen Leidenszeit hing e bungsvoll von seiner Frau gepflegt. Es war eine gute Le h re, sagte Mutter einmal. Man müsse sich davor hüten, die Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu st e cken.
Ich hatte noch eine andere Freundin. Sie hieß Margaret. Sie war, was man eine halboffizielle Freundin nennen könnte. Wir besuchten einander nicht zuhause, unte r nahmen aber gemeinsame Spaziergänge. (Margarets Mu t ter hatte orangefarbene Haare und sehr rosige Wangen. Ich vermute, man hielt sie für »flott«, und Vater erlaubte Mutter nicht, eine Beziehung mit ihr anzuknüpfen.) U n sere Kindermädchen dürften befreundet gewesen sein. Margaret war ein großes Plappermaul und brac h te mich einmal in entsetzliche Verlegenheit. Sie hatte gerade ihre Vorderzähne verloren und sprach so undeutlich, dass ich sie nicht ve r stehen konnte. Es ihr zu sagen, wäre aber herzlos von mir gewesen, und darum antwortete ich ihr auf gut Glück und fühlte mich immer unbehaglicher. Schließlich ließ sie es sich einfallen, mir eine G e schichte zu erzählen. Es handelte sich um irgendwelche vergift e ten Bonbons, aber was mit ihnen geschah, habe ich nie erfahren. Das ging so, für mich unve r ständlich, eine lange Weile, bis sie freudestrahlend ausrief: »Ift daf nift eine hübfe Geschifte?« Ich stimmte ihr begeistert zu. »Meinft du, fie hätte lieber…« Ich fiel ihr ins Wort. »Jetzt we r de ich dir eine Geschichte erzählen, Margaret.« Sie sah mich unschlüssig an. Offenbar gab es im Zusammenhang mit den vergifteten Bonbons ein kniffliges Problem, über das sie spr e chen wollte, aber ich wusste mir keinen Rat mehr.
»Es geht dabei um… um… einen Pfirsichkern«, impr o visie r te ich wild drauflos. »U-um eine Fee, die in einem Pfirsichkern wohnt.«
»Erpfähl doch«, sagte Margaret.
Ich erzählte. Ich erzählte, bis Margarets Haustür in Sicht kam.
»Daf war eine hübfe Gefichte«, sagte Margaret ane r kennend. »Auf we l chem Märchenbuch haft du fie?«
Ich hatte sie aus keinem Märchenbuch. Sie kam aus meinem Kopf. Ich glaube nicht, dass es eine besonders gute Geschichte war. Aber ihr hatte ich es zu danken, dass ich nicht so taktlos sein und Margaret ihre fehle n den Zähne zum Vorwurf machen musste. Ich antwortete ihr, dass ich mich nicht erinnern könne, aus welchem Mä r chenbuch die Geschichte war.
Ich war fünf Jahre alt, als meine Schwester »ausgebi l det« aus Paris zurückkam. Ich erinnere mich an die Au f regung, als sie in Ealing aus einer Kutsche stieg. Sie trug einen flotten kleinen Strohhut und einen weißen Schleier mit schwarzen Punkten und erschien mir wie ein vö l lig neuer Mensch. Sie war sehr nett zu ihrer kleinen
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