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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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hatte mich damit abgefunden, »die Langsame« zu sein. Ich war schon über zwanzig, als mir klar wurde, dass der Bi l dungsstand bei uns daheim ungewöhnlich hoch gewesen war und ich genauso schnell oder noch schneller als der Durchschnitt reagierte. Meine Au s sprache ist immer noch undeutlich. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, w a rum ich Schriftstellerin geworden bin.
     
    Die Trennung von Nursie war der erste große Schmerz in meinem L e ben. Einer ihrer früheren Pfleglinge besaß ein Gut in Somerset und hatte sie seit einiger Zeit g e drängt, sich zur Ruhe zu setzen. Er bot ihr ein behagliches Hä u schen auf se i nem Besitz an, wo sie und ihre Schwester ihre Tage beschli e ßen konnten. Schließlich traf sie ihre Entscheidung. Es war Zeit, mit der Arbeit aufz u hören.
    Ich vermisste sie schrecklich. Ich schrieb ihr jeden Tag – ein unbeholfenes, kurzes Briefchen mit vielen orthogr a fischen Fehlern. Schreiben und Buchstabieren fiel mir immer fürchterlich schwer. Meine Briefe w a ren nicht sehr originell. Der Text war fast immer der gleiche: »Liebste Nursie, ich vermisse Dich sehr. Ich hoffe, es geht Dir gut. Tony hat e i nen Floh. Alles Liebe und viele, viele Küsse. Von Agatha.«
    Mutter stellte mir die Marken für diese Briefe zur Ve r fügung, aber nach einer Weile fühlte sie sich genötigt, einen sanften Protest einz u legen.
    »Ich glaube nicht, dass du jeden Tag schreiben musst. Vielleicht zwe i mal die Woche?«
    Ich war fassungslos.
    »Aber ich denke doch jeden Tag an sie. Ich muss schre i ben!«
    Sie seufzte, erhob aber keinen Einwand. Trotzdem übte sie einen le i sen Druck aus. Es dauerte jedoch Monate, bis ich meine Korrespo n denz, wie sie vorgeschlagen hatte, auf zwei Briefe in der Woche beschränkte. Nu r sie selbst kam mit der Feder nicht allzu gut zurecht, überdies war sie vermutlich zu klug, um mich in meiner hartnäckigen Anhänglichkeit zu b e stärken. Zweimal im Monat schrieb sie mir freundliche, har m lose Episteln. Mutter war, glaube ich, ein wenig darüber beunruhigt, dass es mir so schwe r fiel, sie zu vergessen. Sie e r zählte mir später, dass sie die Sache mit Vater durchgesprochen und dass er ihr mit einem unerwarteten Zwinkern geantwortet ha t te: »Als Kind hast du auch ständig an mich gedacht, als ich nach Amerika ging.« Mutter meinte, das wäre etwas ganz and e res gewesen.
    »Hast du geglaubt, ich würde zurückkommen und dich heir a ten, wenn du erwachsen bist?«, fragte er.
    »Natürlich nicht«, erwiderte Mutter, gab aber dann z ö gernd zu, dass auch sie ihre Vision gehabt hätte. Es war ein typisch viktorianisches, se n timentales Fantasiebild gewesen. Vater – so ihr Wachtraum – war eine glänzende, aber unglückliche Ehe eingegangen. Nach dem Tod se i ner Frau kehrte er enttäuscht zu seiner stillen Base Clara zurück. Doch ach, die arme Clara war eine hilflose Inval i de, musste ständig auf dem Sofa liegen und segnete ihn schließlich mit ihrem letzten Atemzug. Sie lachte, als sie es ihm erzählte.
    Früher Tod und Invalidität gehörten ebenso zur Trad i tion einer romantischen Verbindung wie heute Zähigkeit und Hä r te. Soweit ich das beurteilen kann, hätte keine junge Frau damals jemals zugegeben, sich einer blühe n den Gesundheit zu erfreuen. Oma erzählte mir immer mit großem Behagen, wie zart sie als Kind gewesen war. »Ich hatte keine Hoffnung, alt zu werden.« Oma B. aber mei n te dazu: »Margaret war i m mer sehr robust. Ich war zart.«
    Omatante wurde zweiundneunzig, Oma B. sechsun d achtzig, und ich persönlich bezweifle, dass sie überhaupt je von zarter Konstitution w a ren. Aber außerordentliche Empfindlichkeit, wiederholte Ohnmachtsa n fälle und schon früh eintretender Verfall (Schwindsucht) waren zeitg e mäß. So fixiert war Oma auf diese Geisteshaltung, dass sie häufig besondere Anstre n gungen unternahm, um meinen verschi e denen Verehrern unter dem Siegel der Verschwiegenheit kundzutun, wie schrecklich zart und gebrechlich ich wäre, und dass ich kaum sehr alt we r den würde. Ich war achtzehn, als einer meiner Begleiter mich besorgt fragte: »Wirst du dich auch nicht verkühlen? De i ne Großmu t ter hat mir gesagt, wie zart du bist.« Entrüstet teilte ich ihm mit, dass ich mich immer der besten G e sundheit e r freut hatte, worauf sich sein Gesicht wieder erhellte.
    »Aber warum sagt dann deine Großmutter, du wärest zart?« Ich musste ihm erklären, dass Oma ihr Bestes tat, um mich interessant zu machen. Als sie

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