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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Zwei Sanitäter holten sie aus der Menge und versicherten ihr, dass ein Weiterkommen unmöglich war. »Aber ich muss weiter!«, rief Oma. »Ich muss!« Heiße Tränen stürzten ihr aus den Augen. »Ich habe mein Zimmer, ich habe meinen Platz, die zwei er s ten Sitze im zweiten Fenster im zweiten Stock, d a mit ich hinunterschauen und alles sehen kann. Ich muss weiter!« – »Das ist unmöglich, Ma’am, die Str a ßen sind verstopft, seit einer ha l ben Stunde kommt keiner mehr durch.«
    Oma weinte noch heftiger. »Ich fürchte, Ma’am, Sie werden nichts sehen können«, sagte der freundliche San i täter, »aber ich bringe Sie jetzt da an die Ecke zu unserer Ambulanz. Dort können Sie sich hinsetzen, und wir g e ben Ihnen eine gute Tasse Tee.« Immer noch schluc h zend ging Oma mit. Neben der Ambulanz saß eine ihr nicht unähnliche Gestalt, eine ebenfalls weinende, mass i ge Gestalt in schwarzem Samt mit schwa r zen Glasperlen. Die Gestalt blickte auf – zwei schrille Schreie gel l ten durch die Luft: »Mary!« – »Margaret!« Zwei gewaltige, gla s perlenbehängte Busen trafen aufeinander.
     
     
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    Wenn ich darüber nachdenke, was mir in meiner Kin d heit das größte Vergnügen bereitet hat, sollte ich meinen Reifen an die erste Stelle se t zen. Ein einfaches Gerät, und es kostete – wie viel? Sixpence? E i nen Schilling? Ganz bestimmt nicht mehr.
    Und welch unschätzbare Wohltat für Eltern, Kinde r mädchen und Dienstboten. An schönen Tagen geht Agatha mit dem Reifen in den Garten und fällt niema n dem mehr zur Last, bis es Zeit zum Essen ist.
    Der Reifen war für mich abwechselnd ein Pferd, ein Seeu n geheuer und ein Eisenbahnzug. Den Reifen über die Gartenwege schlagend, war ich ein Ritter in schi m mernder Rüstung auf großer Fahrt, eine Hofdame auf ihrem weißen Zelter, Klee (eines der »Kätzchen«) auf der Flucht aus dem Gefängnis, oder – nicht ganz so roma n tisch – Lokomotivführer, Schaf f ner oder Fahrgast der drei Eisenbahnlinien, die ich mir ausgedacht ha t te.
    Es waren drei verschiedene Linien: die Ringbahn mit acht Stationen, die etwa drei Viertel des Gartens u m spannte; die Bottichbahn, eine kurze Strecke, die vom Gemüsegarten zu einem großen Wasserbottich führte, der unter einer Kiefer stand; und die Terrassenbahn, die rund um das Haus lief.
    Ich kann heute nicht begreifen, warum es mir solchen Spaß machte, den Reifen vor mir herzutreiben. Ich blieb immer wieder stehen und rief: »Maiglöckchenbeet! U m steigen in die Ringbahn! Bottich! Endstation! Alles au s steigen!« Das machte ich stundenlang, und es war b e stimmt eine gute Leibesübung. Ich übte auch fleißig die Kunst, den Reifen so zu werfen, dass er zu mir zurüc k kehrte – ein Trick, den mir einer unserer B e sucher, ein Marineoffizier, beigebracht hatte.
    Für Regentage war Mathilde da. Mathilde war ein gr o ßes amerikan i sches Schaukelpferd; meine Geschwister hatten es als Kinder in Amerika geschenkt bekommen. Es war nach England mitgenommen wo r den und führte nun als kümmerliches Wrack – die Farben abgeschl a gen, schweif- und mähnenlos – ein geruhsames Leben in e i nem kleinen Gewächshaus, das seitlich an das Haus a n grenzte – nicht zu verwechseln mit dem »Wi n tergarten«, eine mit einer hochfliegenden Bezeichnung bedachte Baulichkeit, die Töpfe mit Pelargonien und Beg o nien, alle Arten von Farnen auf reihenweise angeordneten Geste l len und mehrere große Palmen enthielt. Jenes kleine G e wächshaus, K. K. (oder vielleicht auch Kai Kai?) b e nannt – warum, weiß ich nicht – ermangelte jeglichen Gewäc h ses und beherbergte statt dessen Krocketschläger, Reifen, Bälle, zerbrochene Gartenstühle, alte lackierte Eisent i sche, ein halb vermodertes Tenni s netz und Mathilde.
    Mathilde hatte enorm viel zu bieten – weit mehr als j e des englische Schaukelpferd, das mir je untergekommen ist. Es sprang in die Höhe, vor und zurück, und war, wenn scharf geritten, durchaus imstande, se i nen Reiter abzuwerfen. Seine Federn hätten geölt werden müssen, sie verursachten ein gewaltiges Quietschen, was das Ve r gnügen aber noch erhöhte. Auch dies eine ausgezeichnete Leibesübung. Kein Wunder, dass ich ein mageres Kind war.
    Mathildes Gefährte im Kai war Truelove – ebenfalls transatlant i schen Ursprungs. Truelove war ein kleines, bemaltes Pferdchen mit einem Ka r ren und Pedalen – die allerdings nicht mehr funktionierten. Eine reichliche D o sis Öl hätte diesem Übelstand

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