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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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selbst noch jung war, erzählte sie mir einmal, brachten junge D a men beim Abendessen, wenn Herren am Tisch saßen, kaum mehr als ein paar Bissen heru n ter. Später wurden voll beladene Tablette in die Schla f zimmer hinaufgebracht.
    Krankheit und früher Tod waren auch in Kinderb ü chern ein belie b tes Thema. Unsere unschuldige Violet war eines meiner Lieblingsb ü cher. Die kleine Violet, schon auf der ersten Seite eine engelsgleiche Invalide, starb auf der letzten Seite im Kre i se ihrer trauernden Familie einen erbaulichen Tod. Das trag i sche Geschehen wurde von ihren zwei schlimmen Brüdern Punny und Firkin gemi l dert, die unentwegt Böses im Schilde füh r ten. In Vier Schwestern, einer an sich heiteren Geschichte, war die ros i ge Beth das Opfer. Der Tod von Klein-Nell im Raritäte n kabinett lässt mich kalt und bereitet mir ein gewisses U n behagen, aber natürlich rührte das Pathos dieser Erzä h lung zu D i ckens’ Zeiten ganze Familien zu Tränen.
    Als Einrichtungsstück wird heute das Sofa oder die Couch mit dem Psychoanalytiker in Zusammenhang g e bracht – doch in viktorian i scher Zeit war es der Inbegriff von frühem Tod, Siechtum und, ganz groß g e schrieben, romantischer Liebe. Ich neige zu der Ansicht, dass die viktorianische Frau und Mutter davon bestens zu prof i tieren verstand. Oft ließ sie sich, sobald sie in die Vierzig gekommen war, häuslich darauf nieder und verbrachte hier ein höchst geruhsames L e ben. Die Plackerei im Haushalt blieb ihr fortan erspart. Ihr Mann las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, die Töchter standen ihr ohne zu murren bereitwillig zu Diensten. Freundinnen kamen in Scharen, um sie zu besuchen, und b e wunderten ihre Seelenstärke und Geduld unter so widrigen Umständen. Hätte ein Arzt ein organisches Leiden an ihr feststellen können? Vermu t lich nicht. Sicher tat ihr der Rücken weh, sicher hatte sie es mit den Beinen – wie wir alle, wenn wir älter we r den. Das Sofa war das Allheilmittel.
    Ein anderes Lieblingsbuch von mir handelte von einem kleinen deutschen Mädchen (natürlich invalid und ve r krüppelt), die darnieder lag und den ganzen Tag aus dem Fenster schaute. Ihre Pflegerin, eine egoistische und ve r gnügungssüchtige junge Frau, lief eines Tages aus dem Zimmer, um einer Prozession zuzusehen. Die Invalide beugte sich zu weit hinaus, fiel aus dem Fenster und se g nete das Zeitliche. Quälende Gewissensbisse der Pfleg e rin, kummerbeladen bis ans Ende ihrer Tage. Alle diese traur i gen Bücher las ich mit großem Vergnügen.
    Und dann gab es natürlich auch die Geschichten aus dem Alten Testament, an welchen ich mich schon in fr ü hester Jugend ergötzt hatte. Der Kirchgang war einer der Höhepunkte der Woche. Die Pfarrkirche von Tor Mohun war die älteste Kirche Torquays. Torquay war ein mode r ner Kurort, aber Tor Mohun der ursprüngliche Stadtkern. Die alte Kirche war recht klein, und darum beschloss man, eine zweite, größere zu bauen. Das geschah zu der Zeit, als ich geboren wurde, und mein Vater stiftete einen Geldbetrag in meinem Namen, um mich zur Mitgründ e rin zu machen. Er erklärte mir das zum gegebenen Zei t punkt, und ich kam mir sehr wichtig vor. »Wann kann ich zur Kirche gehen?«, drängte ich ständig – bis der große Tag kam. Ich saß neben Vater zie m lich weit vorn und verfolgte den Gottesdienst in seinem großen Gebe t buch. Er hatte mir schon vorher gesagt, dass ich, wenn ich wol l te, schon vor der Predigt gehen könne, und als es so weit war, flüsterte er mir zu: »Möchtest du gehen?« Ich schü t telte energisch den Kopf und blieb. Er nahm meine Hand in die seine, und ich saß zufrieden da und tat mein Mö g lichstes, um nicht herumzuzappeln.
    Die sonntäglichen Kirchenbesuche machten mir große Freude. Bisher hatte es zuhause ganz spezielle Geschic h tenb ü cher gegeben, die nur sonntags gelesen werden durften (ein festliches Vergnügen), und Bücher mit G e schichten aus der Bibel, die mir vertraut waren. Die G e schichten aus dem Alten Testament sind durch jene dr a matische Verknüpfung von Ursache und Wirkung g e kennzeichnet, nach der der kindliche Sinn verlangt: J o seph und seine Brüder, sein blutiger Rock, sein Aufstieg zum Wesir des Pharao und das dramatische Fin a le mit der Verzeihung, die er se i nen bösen Brüdern gewährt. Moses und der brennende Dornbusch war eine Lie b lingsgeschichte von mir. So auch die von David und G o liath.
    Es ist erst ein oder zwei Jahre her, dass ich auf dem Gr

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