Meine gute alte Zeit - Teil I
das Gefühl, mit dem Leben eins zu sein. In di e sen Augenblicken ergreift es mich von Neuem.
Ich erinnere mich an ein Feld voll Butterblumen. Ich kann nicht älter als fünf gewesen sein, denn Nursie war bei mir. Es war in Ealing, und wir wohnten bei Omata n te. Wir schritten einen Hang hinauf, an der St. Stephen’s Church vorbei. Es gab dort damals nur Felder, und wir kamen zu einem, das mit Bu t terblumen übersät war. Wir gingen – das weiß ich – recht oft dahin. Mir scheint, dass ich schon seit vielen Jahren kein solches Feld mehr ges e hen habe. Ich habe ein paar Butte r blumen auf einem Feld gesehen, aber das war schon alles. Ein großes Feld übe r sät mit goldgelben Butterblumen, das ist schon etwas Besonderes. Ich genoss den Anblick damals, und ich g e nieße ihn jetzt, in diesem Augenblick.
Was hat einem im Leben am meisten Freude gemacht? Ich würde sagen, dass das bei allen Menschen verschi e den ist. In meinem Fall sche i nen es fast immer die stillen Stunden des täglichen Lebens gew e sen zu sein. Ich war am glücklichsten, wenn ich Nursies graues Haupt mit blauen Schleifen schm ü cken durfte, wenn ich mit Tony spielte, ihm mit e i nem Kamm den Scheitel auf seinem breiten Rücken zog, wenn ich auf – für mich – echten Pferden über den Fluss setzte, den meine Fant a sie durch den Garten strömen ließ. Wenn ich meinen Re i fen die Ringbahn entlang schlug. Fröhliche Spiele mit meiner Mu t ter. Oder wenn Mutter mir in späteren Jahren aus Dickens vorlas und allmählich schläfrig wu r de; dann rutschte ihr die Brille über die Nase, ihr Kopf fiel nach vorn, und ich mahnte sie zaghaft: »Mutter, du schläfst ein!« – Worauf sie sehr würdevoll erw i derte: »Keineswegs, Liebling. Ich bin überhaupt nicht schläfrig!« Wenige M i nuten später war sie eingeschlafen. Ich erinnere mich noch, wie absurd sie aussah, mit der Brille auf der Nase n spitze, und wie sehr ich sie in diesem Augenblick liebte.
Der Gedanke mutet seltsam an, aber wir erkennen erst dann, dass wir einen Menschen wirklich lieben, wenn er lächerlich aussieht. J e manden bewundern, weil er schön, amüsant oder charmant ist, das kann jeder, aber seiner Sache sicher sein wird er erst, wenn eine Spur Lächerlic h keit das Bild ergänzt. Ich möchte jedem Mädchen, das ans Heiraten denkt, einen Rat geben: »Stell dir einmal vor, er wäre schrecklich verkühlt. Er niest und schneuzt und schnupft, nuschelt durch die Nase, die Augen tränen ihm… was würdest du für ihn empfinden?« Das ist wir k lich ein guter Test. Man muss, glaube ich, für seinen Mann jene Liebe im Herzen tragen, die gleichbedeutend ist mit Zärtlichkeit, die echte Zuneigung mit einschließt und einen Schnupfen oder gewisse Verschrobenheiten ohne Selbstübe r windung in Kauf zu nehmen vermag. Das erotische Verlangen kann man als gegeben vorau s setzen.
Aber für die Ehe braucht es mehr als nur blinde Ve r liebtheit. Ich huldige der altmodischen Ansicht, dass R e spekt vonnöten ist. Respekt – nicht zu verwechseln mit Bewunderung. Einen Mann sein Leben lang zu bewu n dern, würde allzu sehr ermüden, fürchte ich. Davon wü r de man – im übertragenen Sinn – einen steifen Hals b e kommen. Respekt aber, das ist etwas, worüber man nicht nachzudenken braucht; er ist da, und dafür ist man dan k bar. Die Frau will das Gefühl haben, dass sie sich auf den Mann verlassen, seinem Urteil vertrauen und, wenn es schwierige Entscheidungen zu treffen gibt, sie diese g e trost ihm überlassen kann.
Die vielen Kleinigkeiten, die großen und kleinen Erei g nisse eines L e bens – welch ein Krimskrams! Was von all dem war wirklich wichtig? Was steckt hinter der Auswahl, die das G e dächtnis trifft? Was veranlasst uns, dies oder jenes in unsere Erinnerung aufzunehmen? Es ist, als ob man auf dem Dac h boden vor einer großen Kiste mit Trödel und Ramsch stünde, die Hände hineinsteckte und sagte: »Ich nehme das – und das – und das.«
Man frage drei oder vier verschiedene Personen, was sie, s a gen wir, von einer Auslandsreise im Gedächtnis behalten h a ben; man wird überraschend unterschiedliche Antworten erhalten. Ich erinnere mich an einen fün f zehnjährigen Jungen, Sohn von Freunden, der als Teil seiner Sommerferien nach Paris mitgenommen wurde. »Nun, mein Junge«, wurde er nach seiner Rückkehr g e fragt, »was hat dich in Paris am meisten beei n druckt? Was ist dir in Erinnerung geblieben?« Er antwortete ohne Z ö gern: »Die Schornsteine.
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