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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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z te, sie flehte mich an, aber sie verpetzte mich nicht. Mag sein, dass ich ihr den G e horsam schuldig blieb, dafür schenkte ich ihr meine Li e be.
    Nur ein einziges Mal habe ich sie wirklich verletzt, und das ohne Absicht. Es geschah nach unserer Rückkehr nach En g land, im Laufe eines Gesprächs über dies oder jenes, das im Übrigen völlig friedlich verlief. »Ma pauvre fille«, sagte ich, um ihr meinen Standpunkt noch deutl i cher zu machen, »vous ne savez donc pas les chemins de fer sont …« Worauf Marie zu meiner grenzenlosen Überr a schung in Tr ä nen ausbrach. Ich starrte sie an. Ich wusste nicht, was ich davon halten musste. Weshalb sollte eine Bemerkung über Eisenbahnen sie so e r schüttern? Endlich stammelte sie schluchzend eine Erklärung. Ja, sie war wirklich ein pauvre fille. Ihre E l tern waren arm, nicht reich wie die Eltern von Miss. Sie hatten ein Ka f feehaus, und die ganze Familie musste arbeiten. Aber es war nicht ge n tille, es war nicht bien élevée von der lieben Miss, ihr ihre Armut vorzuwerfen.
    »Aber Marie«, protestierte ich, »so habe ich es doch überhaupt nicht gemeint!« Es schien unmöglich, sie d a von zu übe r zeugen, dass ich keinen Augenblick an ihre Armut gedacht hatte, dass ma pauvre fille nur eine aus me i ner Ungeduld geborene Redensart war. Ich hatte die G e fühle der armen Marie verletzt, und es bedurfte einer ha l ben Stunde Beteuerungen, Zärtlichkeiten und wiederho l ter Versicherungen meiner Zuneigung, b e vor sie sich endlich beruhigte. Dann war alles wieder gut, aber in Z u kunft achtete ich streng darauf, diese Redewe n dung nie wieder zu gebrauchen.
    Ich vermute, dass Marie sich in unserem Haus in To r quay zum ersten Mal einsam fühlte und von starkem Heimweh b e fallen wurde. In den Hotels hatte es andere Kindermädchen, Gouvernanten, Kammerzofen und de r gleichen aus aller He r ren Länder gegeben – und die Trennung von ihrer Familie war ihr nicht zu Bewusstsein gekommen. Hier in En g land war das anders. Wenn ich mich recht entsinne, hatten wir damals ein ziemlich ju n ges Hausmädchen und ein etwa dreißig Jahre altes St u benmädchen, aber ihre Einstellung zum Leben war so ganz anders als die von Marie, dass sie sich völlig fremd gefühlt h a ben muss. Die beiden mokierten sich über die Einfachheit ihrer Kleidung und über die Tats a che, dass sie keinen Penny für Handschuhe, Bänder und sonstigen Putz ausgab.
    Marie erhielt einen für ihre Begriffe fantastisch hohen Lohn. Sie ersuchte Monsieur jeden Monat, er möge die Freundlic h keit haben, den Großteil ihres Gehalts an ihre Mutter in Pau zu überweisen. Sie behielt nur eine winzig kleine Summe für sich. Das war ganz natürlich und schicklich für sie; sie sparte für ihre dot, jene bedeutung s volle Geldsumme, die alle französ i schen Mädchen damals (und vielleicht auch noch heute, das weiß ich nicht) fle i ßig für die Mitgift zur Seite legten – eine absolute No t wendigkeit für die Zukunft, weil sie ohne diesen Brau t schatz unter Umständen überhaupt nicht heiraten kon n ten. Es war eine gute und vernünftige Idee und ist, soviel ich weiß, jetzt auch in England üblich, weil junge Me n schen möglichst bald ein Haus e r werben wollen. Deshalb sparen der Mann und das Mädchen auf dieses Ziel hin. Doch in der Zeit, von der ich erzähle, sparten die Mä d chen nicht für die Ehe – das war Sache des Mannes. Ihm oblag die Sorge für sein Heim, seine Frau, für Kleidung und Nahrung. Für die »bess e ren« Dienstboten und die unteren Schichten der Ladenmädchen war es deshalb auch ganz normal, das Geld, das sie verdienten, für die lust i gen Dinge des Lebens auszugeben. Sie kauften sich neue Hüte, bunte Blusen und hin und wieder eine Hal s kette oder eine Brosche. Und da war nun Marie in ihrem einfachen schwarzen Kostüm, ihrer kleinen Toque und ihren schlichten Blusen, die nie ihre Garderobe ergänzte und nie etwas Unnöt i ges kaufte. Ich glaube nicht, dass es böser Wille war, aber sie lachten sie aus, sie verachteten sie. Marie war sehr u n glücklich. Mit viel Verständnis und Güte gelang es Mutter, ihr über die ersten vier oder fünf Monate hinwegzuhelfen. Sie hatte Hei m weh, sie wollte nach Pau zurück. Aber Mutter sprach mit ihr und tröstete sie. Sie wäre ein gescheites Mä d chen, sagte sie ihr, den englischen Mädchen an Klugheit und Weitblick voraus, und täte genau das Ric h tige. Sie nahm sich, glaube ich, auch Jane und die beiden Dienstboten vor und wies

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