Meine gute alte Zeit - Teil I
Nein, niemals, und wenn ich hungern müsste!«
4
Manchmal denke ich, dass ich in meinem früheren L e ben – wenn man an die Seelenwanderung glaubt – ein Hund gewesen sein muss. Ich kann viele »hündische« Gewoh n heiten an mir entdecken. Wenn jemand etwas unte r nimmt oder irgendwohin geht, will ich immer mit von der Partie sein – und bin es auch. So benahm ich mich auch, als wir nach dieser langen Abwesenheit nachhause z u rückkehrten, genau wie ein Hund. Ein Hund läuft immer im ganzen Haus herum, untersucht alles, schnüffelt hier und schnüffelt dort, erkundet mit seiner Nase, was vorg e fallen ist, und besucht alle seine Lieblingsplätzchen. Ich tat genau das Gleiche. Ich wanderte durch das Haus und dann in den Garten hinaus und besuchte meine Lie b lingsplä t ze: den Bottich, den Baum mit der Schaukel, das Ve r steck an der Mauer, von wo aus ich, ohne gesehen zu werden, die Str a ße überblicken konnte. Ich prüfte meinen Reifen und brauchte eine ganze Stunde, um mich zu überzeugen, dass alles so war, wie ich es zurückgelassen hatte.
Die größte Veränderung war an meinem Hund Tony zu b e merken. Bei unserer Abreise war Tony ein kleiner, niedlicher Yorkshire-Terrier gew e sen. Dank Froudies liebender Sorge und endloser Fütt e rung war er jetzt rund wie eine Kugel. Froudie war in jeder Beziehung Tonys Sklavin g e worden, und als Mutter und ich hingingen, um ihn nachhause zu holen, hielt sie uns einen langen Vo r trag über seine Schlafgewohnheiten, seine Lieblingsspe i sen, womit er in seinem Körbchen zug e deckt werden müsse und zu welcher Tageszeit er gerne auf die Straße geführt werden wollte. »Und er frisst nur aus der Hand«, erklärte Froudie stolz. »Ja, ja, ich muss ihn selbst fü t tern, Bi s sen für Bissen.«
Ein Stirnrunzeln meiner Mutter verriet mir, dass Tony bei uns daheim nicht ganz diese Behandlung zuteil we r den würde. Wir nahmen ihn in der Kutsche mit, die wir zu diesem Zweck gemietet hatten, dazu sein Körbchen und seine sonstige Habe. Natürlich war Tony hoch e r freut, uns zu sehen, und schleckte mich liebevoll ab. Als ihm sein Futter g e bracht wurde, erwies sich Froudies Hinweis als richtig. Tony beäugte die Schüssel, sah Mu t ter an, sah mich an, tat ein paar Schritte zur Seite, set z te sich und wartete wie ein Grandseigneur darauf, aus der Hand gefüttert zu werden. Ich gab ihm ein Stückchen, das er hul d voll annahm, aber Mutter stoppte das.
»Das geht nicht«, sagte sie. »Er wird sich daran gewö h nen müssen, selbst zu fressen wie früher. Lass die Schü s sel dort stehen. Früher oder später wird er es sich überl e gen.«
Aber Tony dachte nicht daran. Er saß nur da, und ni e mals habe ich e i nen Hund gesehen, der so von gerechtem Zorn ergriffen gewesen wäre. Seine großen, traurigen braunen A u gen blickten von einem zum anderen und zurück auf seine Schüssel. Ganz deutlich sagte er: »Ich will mein Nachtessen. Seht ihr denn das nicht? Gebt es mir.« Aber Mutter blieb hart.
»Selbst wenn er heute nichts frisst«, sagte sie, »morgen wird er.«
»Glaubst du nicht, dass er verhungern wird?«, fragte ich.
Nachdenklich betrachtete Mutter Tonys übermäßig breiten Rücken. »Ein bisschen hungern«, meinte sie, »würde ihm äußerst gut beko m men.«
Erst am nächsten Abend kapitulierte Tony, wahrte aber das Gesicht, indem er nur fraß, wenn niemand im Zi m mer war. Danach gab es ke i ne Schwierigkeiten mehr. Die Tage, da man ihn wie einen Großherzog b e handelt hatte, waren vorüber, und Tony akzeptierte diese Tatsache. Aber er vergaß nicht, dass er ein Jahr lang der verhä t schelte Liebling in einem anderen Haus gewesen war. Ein Wort des Tadels genügte, und schon schlich er sich d a von und trottete zu Froudie hinunter, wo er sich offe n bar beklagte, dass er bei uns nicht gebührend geschätzt wu r de. Diese Gewohnheit behielt er lange Zeit bei.
Zusätzlich zu ihren anderen Pflichten war Marie jetzt auch noch T o nys Kindermädchen. Es war recht lustig anzusehen, wenn wir unten spielten und Marie mit vo r gebundener Schürze erschien und höflich verkündete: »Monsieur Tony pour le bain.« Monsieur Tony versuchte sofort, sich unter dem Sofa zu verkriechen und in Siche r heit zu bringen, denn er hielt nicht viel von seinem w ö chentlichen Bad. Mit hängenden Ohren wurde er fortg e tragen, und Marie berichtete später stolz, wie viel tote Flöhe auf dem Badewasser geschwommen waren.
Hunde scheinen heutzutage nicht
Weitere Kostenlose Bücher