Meine gute alte Zeit - Teil I
blieb ich in angstvoller Erwartung hocken. Es wäre sicher ve r nünftiger gewesen, die Tür zu öf f nen und ins Zimmer zu gehen, um mich zu vergewissern, aber i r gendwie scheint mir das nicht eingefallen zu sein – oder vielleicht pflegte Mutter ihre Tür nachts zu verschließen.
Ich erzählte ihr nichts von diesen schrecklichen Angs t zuständen, und ich glaube nicht, dass sie es je erfuhr. Wenn sie in die Stadt ging, hegte ich auch starke Befürc h tungen, sie könnte überfahren worden sein. Das erscheint mir alles jetzt so dumm, so unnötig. Es dauerte vermu t lich nur ein oder zwei Jahre und gab sich dann allmählich. Später schlief ich in Vaters Ankleid e raum, der an ihr Schlafzimmer angren z te, die Tür einen Spalt geöffnet, damit ich, wenn sie in der Nacht einen Anfall e r leiden sollte, zu ihr eilen, ihr den Kopf halten und Brandy und Hirschhornsalz holen konnte. Mit dem Gefühl, in ihrer Nähe, in ihrer Reichweite zu sein, verschwanden die schrecklichen Angstz u stände. Ich war wohl schon immer übermäßig mit Fantasie belastet. Das hat mir in meinem Beruf sehr viel geho l fen – Vorstellungskraft gehört ja schließlich zum Handwerkszeug einer Romanschriftstell e rin –, aber in anderen Beziehu n gen kann sie einem recht üble Streiche spielen.
Unsere Lebensverhältnisse änderten sich nach Vaters Tod. Mutter stellte ihre geselligen Aktivitäten praktisch ein; sie em p fing nur mehr ein paar alte Freundinnen und sonst niemanden. Wir mussten sehr hausha l ten und an allen Ecken sparen. Wir hatten zwei Dienstboten statt drei. Mutter versuchte Jane kla r zumachen, dass es uns nicht mehr so gut ging wie früher, und dass sie mit zwei jungen billigen Dienstmädchen würde auskommen mü s sen. Gleichzeitig wies sie Jane da r auf hin, dass sie, die so herrlich zu kochen verstand, einen ansehnl i chen Lohn beanspruchen könne, dass sie ein Recht darauf hätte. Mutter versprach deshalb, sich umzusehen und Jane eine Stelle zu verschaffen, wo sie ein anständiges Salär und ein Küche n mädchen zu ihrer Unterstützung erhalten würde. »Das haben Sie verdient«, sagte Mutter.
Jane zeigte keine Gefühlsregungen, sie wiederkäute wie ü b lich. Sie nickte, kaute weiter und antwortete: »Sehr gut, Ma’am. Wie Sie me i nen. Sie wissen es sicher am besten.«
Am nächsten Morgen aber kam sie wieder: »Ich hätte Sie gern kurz g e sprochen, Ma’am. Ich habe mir das alles überlegt und möchte lieber hierbleiben. Ich habe Sie sehr gut versta n den, und ich wäre bereit, für weniger Lohn zu arbeiten, aber ich bin nun schon eine lange Zeit bei I h nen. Mein Bruder drängt mich nämlich, zu ihm zu ko m men und das Haus zu führen, und das will ich auch tun, sobald er in Pension geht. Das wird in vier oder fünf Ja h ren der Fall sein. Bis dahin wü r de ich gern hierbleiben.«
»Das ist sehr, sehr lieb von Ihnen«, erwiderte Mutter g e rührt.
»Ist schon recht«, sagte Jane, die einen Horror vor G e fühlswallu n gen hatte, und verließ majestätisch den Raum.
Diese Vereinbarung hatte nur eine Schattenseite. Nac h dem sie so lange Jahre auf ihre Weise gewirtschaftet hatte, fiel es Jane schwer, nicht in der gleichen Art fortzufahren. Wenn es Braten gab, gab es stets einen Riesenbraten. Kolossale Rindfleischpasteten, immense Torten und g e waltige gedämpfte Puddinge kamen auf den Tisch.
»Nur für zwei Personen, Jane«, rief Mutter ihr immer wieder in Erinn e rung, oder »nur für vier Personen«, aber Jane hatte dafür kein Verstän d nis. Das Ausmaß von Janes persönlicher Gastfreundschaft stellte eine schreckliche Belastung für den Haushalt dar. Jeden Tag, den Gott we r den ließ, kamen sieben oder acht ihrer Freundinnen zum Tee und aßen feines Backwerk, Fruchtkuchen, Pfannk u chen, Plätzchen und Marmel a dentorten in Mengen. Die Ausgaben für den Hau s halt wurden immer höher, und in ihrer Verzweiflung fragte Mutter schlie ß lich vorsichtig bei Jane an, ob sie es nicht im Hinblick auf die veränderten Verhältnisse so einrichten könnte, ihre Freundi n nen nur mehr einen Tag in der Woche zu sich einzuladen.
Unsere Mahlzeiten unterschieden sich jetzt recht deu t lich von den Festmahlen vergangener Tage. Mit den gr o ßen Diners war Schluss, und zum Abendessen hatten Mutter und ich Makkaroni mit Käse oder Rei s pudding oder ähnliches. Ich fürchte, dass wir Jane damit sehr b e trübten. Allmählich gelang es Mutter auch, das Bestellen von L e bensmitteln an sich zu ziehen, was bisher Janes
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