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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ihrer schmerzlichen Verluste war Tante Cassie fröhlich und heiter und zeigte mehr menschliches Mitgefühl als sonst jemand, den ich gekannt habe. Sie war der einzige Mensch, den Mutter damals hätte sehen wollen. »Sie versteht das. Mit tröstlichen Phrasen kann man niemandem helfen.«
    Ich erinnere mich, dass die Familie mich als Abgesandte ei n setzte, dass mich jemand – vielleicht Oma, vielleicht auch eine der Tanten – beiseite nahm und mir zuraunte, ich müsse meiner Mutter eine kleine Trösterin sein, mü s se zu ihr ins Zimmer gehen und ihr dartun, dass Vater jetzt glücklich, dass er im Himmel, dass er zum ewigen Frieden eingegangen war. Das wollte ich gerne tun, denn es war das, was auch ich glaubte. Ein wenig zaghaft ging ich hinein, bewegt von jenem unb e stimmten Gefühl, das Kinder überkommt, wenn sie etwas tun, das, wie man ihnen vers i chert hat, recht ist. Sie wissen auch selbst, dass es recht ist, können sich aber aus ihnen unve r ständlichen Gründen des Eindrucks nicht erwehren, dass es mögl i cherweise doch falsch ist. Ängstlich beklommen trat ich an das Bett und berührte Mutter am Arm. »Vater ist in den ewigen Frieden eingegangen, Mama. Er ist glücklich. Du wü r dest doch nicht wollen, dass er zurückkommt, nicht wahr?«
    Mit einem Ruck setzte Mutter sich im Bett auf. So he f tig war ihre Bewegung, dass ich erschrocken zurüc k sprang. »O doch, das würde ich«, klagte sie mit leiser Stimme. »Ja, das würde ich. Ich würde alles Mensche n mögliche tun, um ihn zurückzuholen – einfach alles. Wenn ich könnte, ich würde ihn zwingen, zurückz u kommen. Ich will ihn bei mir haben, hier und jetzt!«
    Bestürzt wich ich zurück. »Schon recht, Liebling«, sagte Mu t ter schnell. »Schon recht. Es ist nur, dass ich mich… dass es mir im Augenblick nicht sehr gut geht. Danke, dass du g e kommen bist.« Sie küsste mich, und ich verließ getröstet das Zimmer.

Drittes Kapitel

Ich werde erwachsen
     
    1
     
    V aters Tod verlieh meinem Leben ein völlig neues Aussehen. Ich ve r ließ meine Welt, die Welt eines Kindes, eine Welt der Sicherheit und Gedanke n losigkeit, um die ersten zögernden Schritte in die Welt der Wirklichkeit zu tun. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass es der Familienvater ist, dem es obliegt, für die Bestä n digkeit des häuslichen Lebens zu sorgen. Wir alle lachen, wenn es heißt »Vater weiß es am besten«, aber diese Phrase ist ein markantes Symptom spätviktorianischen Lebens. Der Vater als Mittelpunkt des Gesch e hens. Vater liebt Pünktlichkeit bei den Mahlze i ten; nach dem Essen will Vater seine Ruhe h a ben; Vater möchte jetzt mit dir vierhändig spielen. Du akzeptierst das alles, ohne zu z ö gern. Vater sorgt für de i ne Ernährung; Vater sieht darauf, dass Vorschriften ei n gehalten werden; Vater zahlt für die Klavierstunden.
    Madge wuchs heran, und Vater war stolz auf sie und schätzte ihre Gesellschaft. Er fand Gefallen an ihrer I n telligenz, ihrer geistigen Wendigkeit, ihrer anziehenden Art, sie kamen ausgezeichnet mitei n ander aus. Ich glaube, dass er in ihr etwas von der Unbeschwertheit und dem H u mor fand, die er bei Mutter vermutlich vermisste – aber er hatte auch eine Schwäche für seine kleine Agatha. Wir hatten unseren Lieblingsreim:
     
    Agatha-Pagatha, schwarze Henn’,
    legt schöne Eier für Gentlemen,
    legt mal sechse, legt mal sieben,
    frisst kein Kraut und keine Rüben.
     
    Sein eigentlicher Liebling aber war, glaube ich, Monty. Die Liebe, die er ihm schenkte, war stärker, als er sie für eine seiner Töchter empfinden konnte. Monty war ein liebevoller Sohn und seinem Vater sehr zugetan. Er war nur leider nicht im Stande, im Leben zu Erfolg zu gela n gen, und Vater machte sich große Sorgen darüber.
    Montys glücklichste Zeit war die Zeit nach dem Bure n krieg. Monty erwarb ein Offizierspatent in einem regul ä ren Regiment, den East Su r reys, und ging mit seiner Truppe direkt von Südafrika nach Indien. Allem A n schein nach kam er gut voran und hatte sich an sein L e ben in der Armee gewöhnt. Vater hatte zwar seine fina n ziellen Sorgen, aber wenigstens war Monty bis auf Weit e res kein Problem mehr.
    Ungefähr neun Monate nach Vaters Tod heiratete Madge James Watts, wenngleich es ihr widerstrebte, Mu t ter zu verlassen. Mutter selbst b e stand auf der Hochzeit: Die beiden sollten nicht länger warten müssen. James’ Vater wollte, dass sein Sohn jung heiratete. James hatte seine Studien in Oxford beendet und

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