Meine gute alte Zeit - Teil I
Aufgabe gewesen war. Vaters Freu n de, wenn sie bei uns zu Gast waren, hatten es genossen, Jane zuzuhören, wenn sie in ihrer tiefen Bassstimme am Telefon Bestellungen aufgab: »Und dann brauch ich noch sechs Hu m mer, Hummerweibchen, und Garn e len – nicht weniger als…« Dieses »nicht weniger als« wurde zum gefl ü gelten Wort in unserer Familie.
»Aber ich hab immer zwölf Stück Seezungen bestellt, Ma’am«, sagte Jane bekümmert. Die Tatsache, dass es nicht genug Münder gab, um diese zwölf Stück Seezunge zu verze h ren, schien ihr nicht in den Kopf zu wollen.
Auch mein eigenes Leben veränderte sich. Ich las U n mengen von Büchern – arbeitete mich durch die restl i chen Werke He n rys durch und lernte Stanley Weyman kennen. (Was waren das doch für herrliche hist o rische Romane! Erst kürzlich las ich The Castle Inn und dachte dabei, wie gut es geschrieben war.)
Wie für viele andere, war Der Gefangene von Zenda auch für mich die Ei n führung in die romantischen Abenteuer- und Liebesromane. Ich las es immer wieder. Leide n schaftliche Liebe ergriff mich – nicht zu Rudolf Rasse n dyll, wie man vermuten könnte, sondern zu dem wirkl i chen König, der in seinem Verlies schmachtete. Ich seh n te mich danach, ihm zu Hilfe zu eilen, ihn zu retten und ihm zu versichern, dass ich – Flavia n a türlich – ihn liebe und nicht Rudolf Rassendyll. Ich las auch alles von Jules Verne auf Französisch – Die Reise zum Mitte l punkt der Erde war viele Monate lang meine Lieblingslektüre. Mir gefiel der Gegensatz zw i schen dem besonnenen Neffen und dem übertrieben selbstsicheren Onkel. Bücher, die mir wirklich gefielen, las ich in Abständen immer wieder. Nach einem Jahr etwa wurde ich wankelmütig und e r wählte mir e i nen neuen Lieblingsschmöker.
Dann gab es auch noch die Märchenbücher von L. T Meade. Mutter mochte sie nicht; in diesen Romanen, sagte sie, wären die Mädchen sehr gewöhnlich und däc h ten nur daran, reich zu werden und schöne Kleider zu tragen. Manchmal las Mutter mir Bücher vor, so auch e i nes, The Last Days of Bruce, dem sie und ich aus vollem Herzen zustimmten. Große E r eignisse der Geschichte hieß ein Buch, das ich lesen musste, um etwas daraus zu lernen. Man sollte jeweils ein Kapitel lesen und dann die Fragen beantworten, die in einem Anhang ve r zeichnet waren. Das war ein sehr gutes Buch. Es unterrichtete seine Leser über die wichtigsten Ereignisse in Europa und auch a n derswo, die man dann mit der Geschichte der englischen Könige in Ve r bindung bringen konnte – angefangen bei Egbert! Wie beruhigend, aus berufenem Munde zu erfa h ren, dass Sowieso ein schlechter König war; solcher I n formation haftete eine bibl i sche Endgültigkeit an. Ich kannte die Personalien aller engl i schen Könige und die Namen aller ihrer Frauen – ein Wissen, das mir nie b e sonders von Nutzen war.
Jeden Tag musste ich buchstabieren üben. Vermutlich hat es mir gutgetan, aber ich war trotzdem eine schlechte Buchstabi e rerin und bin es bis heute geblieben.
Mein größtes Vergnügen waren die musikalischen und anderen Täti g keiten, die ich zusammen mit einer Familie namens Huxley aufnahm. Dr. Huxley hatte eine kluge Frau undefinie r baren Charakters. Sie hatten fünf Töchter: Mildred, Sybill, Muriel, Phyllis und Enid. Dem Alter nach stand ich zwischen Muriel und Phyllis, und Muriel wurde meine ganz besond e re Freundin. Sie hatte ein längliches Gesicht und Grübchen, was bei e i nem länglichen Gesicht ungewöhnlich ist, helles blondes Haar und lachte viel. Ich lernte sie alle in der wöchentlichen Gesangsstunde ke n nen. Etwa zehn Mädchen nahmen da r an teil; wir sangen mehrstimmige Lieder und Oratorien unter der Le i tung eines Gesangsmeisters, Mr Crow. Wir hatten auch ein Orchester: Muriel und ich spielten Mandoline, Sybill und ein Mädchen namens Connie Stevens Violine, und Mil d red Cello. Die Huxleys waren eine unternehmungslustige Familie. Die Spießigeren unter den alten Bewohnern von Torquay betrachteten »diese Hu x ley-Mädels« ein wenig mit scheelen Augen – vor allem deshalb, weil sie, drei Mädchen in der ersten, zwei Mädchen und die Gouve r nante in der zweiten Reihe, zw i schen zwölf und eins auf dem »Strand«, der Geschäftsstraße von To r quay, auf und ab zu spazieren pflegten; sie spazierten auf und ab, schwenkten die Arme, lachten und scherzten, und – dies wurde ihnen hauptsächlich übel genommen – sie trugen keine Handschuhe! In j e ner
Weitere Kostenlose Bücher