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Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen

Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen

Titel: Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Bedel
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vergewissert
     hatten, dass er noch lebte. Der Wagen rollte von selbst ein Stück weiter, dann kippte er nach hinten und die beiden Deichselstangen
     standen hoch in die Luft.
    Und so hieß es hinterher spöttisch, in Goury sei ein Zweimaster gestrandet. Es habe einen Ertrunkenen gegeben. In gewisser
     Weise schon, aber der ist im eigenen Saft ertrunken.
    Erst später merkte man etwas Interessantes, weshalb man die Geschichte noch jahrzehntelang weitererzählte, sonst hätten wir
     sie ja gar nicht gehört. Die Apfelbäume wuchsen nämlich gut an und trugen Jahr für Jahr, das habe ich selbst gesehen, riesige
     Äpfel, Äpfel mit einem kugelrunden Bauch, wie der Pfarrer ihn hatte.
    Während des Krieges – er war damals schon einundsiebzig, aber ich habe ihn mittlerweile längst an Jahren überholt – war mein
     Großvater schon ziemlich kraftlos. Er humpelte und ging am Stock. Die »moderne Sprache« kannte er nicht. Er redete nur Dialekt
     und wusste nur ganz wenige Wörter auf Französisch. Der echte Dialekt wurde ja unglaublich schnell gesprochen. Die Touristen
     (ich nenne die Deutschen »Touristen«, weil sie hierher gekommen sind, ohne eingeladen worden zu sein) kamen 1940.   Ihm zufolge wirkten sie ein wenig gebildeter. Einer von ihnen bettelte:
    »Messjöh, Toilette, Toilette.«
    Mein Großvater verstand natürlich nicht, was er sagen wollte. 1 Er stellte sich taub und tat so, als wolle er sich mit dem kleinen Finger die Ohren ausputzen.
    »Hör auf zu quatschen, Idiot. Wenn du dich waschen willst, dann geh an den Brunnen, da ist Wasser genug, Herrgott noch mal.
     Und wenn dir das nicht reicht, verschwinde wieder dahin, wo du herkommst.«
    Der andere tat, als würde er die Hose runterlassen. Also zeigte Großvater ihm das Hüttchen im Garten. Der andere sah ihn ungläubig
     an, natürlich stank es dort. Als er darauf zuging, hielt er sich die Nase zu. Kaum hatte er die Tür geöffnet, fing er an,
     mit den Armen zu rudern, um die Fliegen zu vertreiben, die ihn massenhaft umschwirrten. Da wurde mein Großvater richtig zornig.
     Er schüttelte den Stock gegen ihn und rief:
    »Wenn es dir hier nicht passt, scheiß doch daheim!«
    Und wenn er uns die Geschichte erzählte, fügte er immer hinzu:
    »Wenn er keine Pistole gehabt hätte, hätte ich ihm mit dem Stock eins übergebraten.«
    Aber ein bisschen Widerstand leistete er dennoch, als sein Haus bis auf das Schlafzimmer und die Küche von den Deutschen besetzt
     wurde. Die Zimmer oben dienten als Büros und jeden Tag kamen deutsche und französische Sekretärinnen. Da mein Großvater sich
     langweilte, fing er an, die Frauen, die mit den Deutschen zu tun hatten, mit dem Stock in der Hand zu verfolgen. Er fuchtelte
     mit seinem Stock auf dem Hof herum, ohne jemandem wehzutun.
    Am Gehstock kann man die Reichen von den Armen unterscheiden. Von den Reichen hieß es, sie hätten »ordentlich was am Stock«.
     Reiche Leute kauften nämlich Stöcke aus glattem Edelholz, unsere Leute aber schnitten sich aus einem Ast einen schönen Stock.
     Der hatte dann auch keinen gebogenen Griff.
    Die Deutschen lachten über meinen Großvater, er tat ja niemandem weh.
    Opa nutzte den Krieg, um vom Krieg 1914   /   18 zu erzählen, in dem viele Menschen gefallen waren. Er aber hatte seine beiden Söhne zurückbekommen: Mein Vater hatte ein
     paar Finger weniger, und auch mein Onkel François hatte so einiges gesehen. Vielleicht sprachen sie ja darüber? Ich jedenfalls
     war immer beeindruckt, wenn ich vom Soldatenalltag hörte. Wobei sie nicht über Verwundungen oder Tote redeten.
    Man musste sich im Fluss waschen, wo das Wasser viele Krankheitskeime mit sich führte. Manchmal wurden sie beschossen, wenn
     sie die Hinterbacken in der Luft hatten.
    Das Besteck wurde nachts im Schuh verstaut: Messer, Gabel und Suppenlöffel.
    Das Brot steckte man sich während des Schlafens unter die Achsel, damit es die Ratten nicht wegfraßen.
    Und da der Krieg am Ende alle verrückt machte, wurde alles gestohlen: Tornister, Gürtel, Kerzen   …
    Mit all den Erinnerungen auf der Seele konnten die Alten in unserem Dorf die Deutschen natürlich nicht ausstehen. Man gönnte
     ihnen weder unsere gute Luft noch die schöne Landschaft.
    Unsere Väter kamen tot aus den Schützengräben zurück, und wenn sie noch lebten, wollten sie nicht darüber sprechen, worüber
     ich hier schreibe. Vergessen wollten sie wohl nicht, aber sie wünschten sich, dass wir, die Kinder, mit anderen Bildern im
     Kopf

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