Meine letzte Stunde
bis dahin unbekannten Menschen angewiesen sind.
Das Anspruchsniveau an sein eigenes Tun kann man nur selbst festlegen. Die Welt ist so voll von Geschichten über brillante Menschen, dass viele sich mitunter klein und unbedeutend vorkommen. Die gute Nachricht: Es bedarf keiner Brillanz, um weise und menschlich zu sein. Das Schlimme ist, dass Brillanz ohne praktische Weisheit nicht ausreicht, oft sogar gefährlich ist. Trotzdem beten wir die Brillanten an, heben sie auf den Podest, zahlen ihnen unfassbare Summen, während wir viele, die über praktische Weisheit verfügen, übersehen und viel zu wenig wertschätzen.
Natürlich wäre es jetzt verlockend, sich über die unfassbaren Managerbonussysteme im Vergleich zur schlechten Bezahlung von Sozialberufen zu ereifern. Doch darum geht es hier nicht. Die Wahrheit ist, dass auch die besten Anreizsysteme nie gerecht sein werden und von schlechten Absichten untergraben werden können. Sozialarbeiter und Lehrer sind genauso wie Busfahrer und Polizisten in der scheinbar schlechteren Position, weil die wichtigsten Qualitäten wie Einfühlsamkeit, Freundlichkeit und Mut nicht messbar sind. Eine Prämie für Menschlichkeit ist offensichtlich ein Widerspruch in sich selbst. Die Entscheidung, nicht das für einen selbst Angenehme und Einfache, sondern das Richtige zu tun, wird stets eine moralische bleiben, die dem Einzelnen niemand abnehmen kann. Es gibt immer die Ausrede „Ich konnte es ja nicht anders, weil man es so von mir verlangt hat“ oder „Ich musste mich an die Vorschriften halten“. Das ist der schlechteste Beitrag für die letzte Stunde. Das trifft den Unternehmer genauso, der darüber entscheiden muss, ob und wie viele Menschen er in der Krise entlässt, wie den Lehrer, der die emotionale Situation eines Schülers unmittelbar nach der Scheidung seiner Eltern kennt und ihm die Note für das Bemühen und nicht für die erreichte Punkteanzahl gibt.
Viele hervorragende Lehrer haben eines gemeinsam: Sie umgehen, ignorieren oder verstoßen aktiv gegen ihr völlig anachronistisches Dienstrecht. Sie verlassen sich lieber auf zwei einfache Orientierungspunkte: die Liebe zu Kindern und die Begeisterung für ihre Unterrichtsfächer. Wir wissen genau, was wir an Menschen schätzen, denen wir uns selbst und unsere Kinder anvertrauen wollen: ein gutes Herz und ein funktionierendes Hirn, Gefühl und Verstand, Warmherzigkeit und Strenge. Jedes zu seiner Zeit. Ihre praktische Weisheit sagt diesen Menschen, wann es Zeit für das eine und wann es Zeit für das andere ist. Dafür brauchen sie keine Arbeitsplatzbeschreibungen, keine Lehrpläne, keine Vorschriften und vor allem keine Checklisten.
Was Helden in ihrem Innern bewegt
Es gibt viele kleine Helden, die es verdienen, gefeiert zu werden. Den meisten von ihnen ist gar nicht bewusst, dass sie Helden sind. Erst ihre eigenen Geschichten zeigen uns, wie sie zu dem werden konnten, was sie sind, warum sie nicht an die Öffentlichkeit drängen, ihre Befriedigung nicht in sozialem Ansehen oder in ihrer Bezahlung, sondern in dem finden, was sie für andere tun. Die weltbekannte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross erzählt die Geschichte einer schwarzen Putzfrau, die ihre erste Lehrmeisterin im Umgang mit Sterbenden wurde. [4] Was ihre Aufmerksamkeit erregte, war die Wirkung, die diese schwarze Putzfrau auf Schwerkranke hatte. Jedes Mal, wenn sie ihre Zimmer verlassen hatte, konnte Kübler-Ross eine deutliche Verbesserung des Gemütszustandes der Patienten erkennen. Sie wollte unbedingt das Geheimnis dieser Frau erforschen, studierte ihren Personalakt, der nicht viel mehr erkennen ließ, als dass sie nur die Pflichtschule absolviert hatte. Eines Tages konnte Kübler-Ross sich nicht länger zurückhalten und sprach sie direkt darauf an, was sie denn mit ihren Patienten mache. Diese reagierte freundlich, aber ablehnend: „Ich putze hier nur die Böden.“ Es dauerte lange Zeit, bis das Vertrauensverhältnis zwischen der weißen Fachärztin und der schwarzen Putzfrau so weit hergestellt war, dass sich diese eines Tages im Schwesternzimmer öffnete und Kübler-Ross ihre Lebensgeschichte erzählte. Sie stammte aus dem Süden von Chicago und war in Armut und Elend aufgewachsen, in einem Zuhause ohne heißes Wasser und Heizung, umgeben von unterernährten, ständig kranken Kindern. Vor allem die Kinder waren Hunger und Krankheit hilflos ausgeliefert, versuchten ihre ständig hungrigen Mägen mit billigen Haferflocken zu füllen. Eines
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