Meine letzte Stunde
höchste Richter ist die Stimme in der eigenen Brust. Der Platz auf dem Richtstuhl wird leer sein. Ich werde ihn wohl selbst erklimmen müssen.
[1]
Die Geschichte ist auszugsweise entnommen aus: Franz Strunz, Voltaires Tod, in: Aufklärung und Kritik 1/2000, S. 116 ff.
[2]
Das Gespräch fand am 3. Februar 2010 in Rom statt.
[3]
In meinem Buch „Der verletzte Mensch“ habe ich ihm das Kapitel „Die Weisheit des Mönchs – warum für den Benediktiner David Steindl-Rast der Weg zum Herzen über die Dankbarkeit, die Zeit für das Wichtige und das Mitgefühl führt“ gewidmet. Seine Aussagen in diesem Kapitel stammen aus unseren persönlichen Begegnungen sowie aus seinem Artikel „Learning to Die“, den Sie auf seiner Website www.gratefulness.org unter „Articles“ lesen können.
[4]
Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen, München 2010
[5]
Sebastian Murken: Gottesbeziehung und psychische Gesundheit. Die Entwicklung eines Modells und seine empirische Überprüfung, Münster 1998
[6]
Die Aussage stammt aus einem Gespräch, das ich mit Karen Amstrong am 22. Juli 2009 in Oxford geführt habe.
Das Ja zum Alter
Es gibt Tage, die geben uns eine Vorahnung davon, was es heißt, den Höhepunkt seiner Kräfte überschritten zu haben. Wir kommen in der Früh fast nicht aus dem Bett, jede Tätigkeit, vom Kaffeemachen bis zum Anziehen, ist mit ungeheurer Anstrengung verbunden, die nur übertroffen wird vom Unwillen beim Gedanken an das, was man sich vorgenommen hat. In jungen Jahren zerbrechen wir uns nicht besonders den Kopf über solche Tage, wir lassen sie einfach vorbeiziehen. Wenn wir älter sind, beschleicht uns eine Frage: Werden wir einfach alt? Können wir uns ein Leben vorstellen, das nur aus solchen Tagen besteht oder diese sogar die guten sind? Könnte unser eigenes Leben einmal jeden Morgen damit beginnen, unsere gesamte Willenskraft zu mobilisieren, um überhaupt in den Tag starten zu können? Wie werden wir die vielen Ziele, die wir noch vor uns haben, in dieser Verfassung bewältigen können?
Obwohl wir manchmal diese erlahmende Energie bei unseren Großeltern und Eltern beobachten konnten, lag es außerhalb unserer Vorstellungsmacht, dass wir selbst einmal davon betroffen sein könnten. Jedenfalls verlangt unsere ganze Willenskraft an solchen Tagen, nicht der Versuchung nachzugeben, ins Bett zurückzukehren, die Decke über den Kopf zu ziehen, die wohlige Wärme zu spüren und uns wie in unserer Schulzeit zu fühlen, wenn wir krank spielten, um nicht in die Schule gehen zu müssen. Im Gegensatz zu unserer Kindheit wissen wir: Wenn wir heute der Schwäche nachgeben und tatsächlich ins Bett zurückkehren, fühlten wir uns danach nur noch mieser als zuvor, weil das schlechte Gewissen über die eigene Schwäche dazugekommen ist. Das gibt uns dann doch die Kraft, aufzustehen und uns schnell in Aktivitäten zu stürzen, die uns helfen, dieses Gefühl möglichst bald zu vergessen. Alt werden schließlich immer nur die anderen.
Manchmal haben wir uns über die aufwendigen Inserate für Vitamine und Stärkungsmittel gewundert, weil uns nie klar war, wer denn all dieses Zeug jemals kaufen sollte. Und auf einmal findet es sich in unserem eigenen Einkaufswagen, wenn wir uns vor der Kassa anstellen. Wie von selbst ist es dort hineingekommen. Doch innerlich wissen wir natürlich ganz genau, dass es kein Mittel dagegen gibt, wenn wir uns schlecht fühlen, obwohl wir medizinisch gesund sind. Das, was man früher mit Midlife-Krise meinte, nämlich eine fundamentale Lebenskrise, in der man alles in Frage stellte, war schon damals ein kollektiver Selbstbetrug. In Wirklichkeit spüren einige dieses Gefühl der Schwäche und der eigenen Unzulänglichkeit oft schon mit Anfang 30 und es hört nie mehr auf, sie immer wieder zu erfassen. Genauso kann die Erkenntnis, dass wir älter werden, jeden Tag ausbrechen, völlig unabhängig von unserem tatsächlichen Alter. Sie kommt über Nacht und ergreift Besitz von unserem Denken. Sie hat nichts mit Wechselbeschwerden, Potenzängsten, Weitsichtigkeit, grauen Haaren, erschlaffenden Brüsten, Kurzatmigkeit, Scheidung oder Jobverlust zu tun, sondern mit Angst. Auch wenn es sich viele nicht eingestehen wollen, das Älterwerden macht zunächst einmal Angst. Es sind vor allem vier Ängste, die unsere Lebensenergie absaugen, wenn wir sie zu lange negieren, anstatt sich ihnen zu stellen: [1]
• Angst davor, ein
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